Maria und der Apfelkuchen

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Maria und der Apfelkuchen

Maria und der Apfelkuchen

Anita Isiris

Maria wohnte noch nicht lange an der Seefeldstrasse. Sie hatte von allem Anfang an das Gefühl, dass sie nicht in dieses Mehrfamilienhaus passte – einmal abgesehen davon, dass die Seefeldstrasse 22 keiner einzigen Familie ein Dach über dem Kopf bot. Nur Rentner bewohnten die 70er-Jahr-Wohnungen, Männer, die das Leben gesehen und einst Kinder in die Welt gesetzt hatten, von denen sie nie mehr besucht wurden. Maria bewohnte eine Dreiraumwohnung, was sie als Luxus betrachtete. Als Warenhausverkäuferin verdiente sie nicht sonderlich viel, und die Miete warm von 500 Euro konnte sie sich nur leisten, weil einer ihrer Ex-Liebhaber sie aus freien Stücken unterstützte. Er mochte sie noch immer, der Uwe, und war mit der Trennung nie fertig geworden. Mittlerweile hatte er eine Neue und überwies Maria jeden Monat eine “schlechtes-Gewissen-Rate”, wie er das nannte. Noch ein einziges Mal hatte sie seither mit ihm geschlafen, in ihrer ehemaligen gemeinsamen Wohnung. Der Abend war ihr aber leer und trostlos vorgekommen; an den Wänden fehlten die Bilder, an die sie sich in all den Jahren gewöhnt hatte, und die afrikanische Göttin auf dem Beistelltisch war auch nicht mehr da. Jetzt sass sie auf dem Balkon und sinnierte vor sich hin. Das Leben war schon eigenartig. Da verkaufte sie den ganzen Tag über Switcher-T-Shirts sowie Damen- und Herrenunterwäsche an 20-30jährige, die etwas auf sich hielten... um dann den Abend in dieser Alterssiedlung zu verbringen, allein und vergessen. Dann entdeckte Maria den Apfelbaum. Er stand etwas abseits im Innenhof und war von einer nachträglich hinzugebauten Garage beinahe ganz verdeckt. Im Astwerk leuchtete es aber verführerisch rot; Maria vermutete Jonathan-Äpfel, eine Sorte, die in den letzten Jahren selten geworden war, sie aber an ihre Jugend erinnerte. Sie ging in die Küche, befreite einen Korb von leeren Plastikflaschen, legte sich ein Jäckchen um die Schultern und ging nach draussen.

Sie wusste, dass sie beobachtet wurde. Maria stand immer unter Beobachtung. Die älteren Herren hatten den ganzen Tag über nichts anderes zu tun als Vögel zu beobachten. Vögel, Bäume, Blumen, Wolken. Und, klar, Frauen. So es denn welche gab. Maria war nicht bewusst gewesen, dass Frauen, die Wäsche hängen, der Brennpunkt männlicher Gedankenausflüge sein können. Der gestreckte Körper, die verführerischen, rasierten Achselhöhlen, der Rock, der sich über Busen und Hintern spannt, das Stehen auf Zehenspitzen... und, vielleicht als Sahnehäubchen, das von der Abendsonne durchleuchtete Haar... Maria kannte derartige Männergelüste nicht. Ihre Partner waren allesamt hart arbeitende Männer gewesen, ohne Sinn für Musse. Aufstehen, malochen, Abendessen, Tagesschau, ein Bierchen obendrauf und dann vielleicht ein bisschen bumsen. Oder auch nicht. Dann wurde eben in der Playboy und der Penthouse geblättert. Was Männer anging, war Maria längst ohne Illusionen. Auch Kinder hatte sie sich abgeschminkt – mit keinem der Typen hätte sie sich eine Familie vorstellen können. Sie war mit ihren knapp dreissig Jahren noch viel zu jung um zu resiginieren – aber sie fühlte sich bereits zu alt, um auf die Pirsch zu gehen. In Bars wurde sie ohnehin nur billig angemacht, im Kino starrten die Männer nach vorn anstatt zur Seite, und im Warenhaus drehte sich die gesamte Kommunikation um Körbchengrössen, lila T-Shirts, von denen eine bestimmte Grösse gerade nicht verfügbar war, und gestreifte Boxershorts. Doch, doch, den Boxershorts konnte sie eine gewisse Freude abgewinnen. Süss fand sie es immer, wenn Männer ihre Freundinnen zum Unterwäschekauf mitnahmen und sich von ihnen beraten liessen. Frauen waren deutlich hemmungsloser, was das Beraten anging - “für sowas hast Du einfach keinen Arsch” - Männer waren verhaltener. "Doch, doch, steht Dir gut."

Die Frauen kauften ihre Leibwäsche meist allein – und auch die Männer kamen allein, um für ihre Susi, Karin oder Lisa zu Weihnachten Wäsche zu kaufen, in der sie sich ihre Schätzchen unter den Tannenbaum träumten. Rot, mit schwarzen Punkten oder so. Als Maria den Apfelbaum erreichte, war sie ein wenig enttäuscht. Die untersten Äste waren bereits leergepflückt. Die an die Garage angelehnte Leiter entdeckte sie erst im letzten Augenblick – kurz bevor sie in ihre Wohnung zurückgehen und sich etwas Tiefgekühltes aus dem Kühlschrankfach klauben wollte. Wann hatte sie das letzte Mal auf einer Leiter gestanden? Sie schob sie zwischen zwei Äste, die ihr stabil genug schienen, und stieg beherzt in die Höhe. “Kann ich helfen?” Maria zuckte zusammen. Unten an der Leiter stand Herr Linzer, der Rentner, der über ihr wohnte. Er war eine Frohnatur, wie ihr schien. Immer hatte er ein Lächeln auf den Lippen, kein schmallippig-verbittertes Renterlächeln, sondern ein freudliches, zum Gespräch einladendes. “Ich halte schon mal die Leiter”, sagte er und schaute zu ihr hoch. In diesem Augenblick erinnerte sich Maria daran, dass sie unter ihrem Sommerrock nichts trug – nichts ausser ihrem dichten schwarzen Schamhaar, und genau dafür schien sich Herr Linzer jetzt zu interessieren.

Marias gesamte Montagbissonntagslipundbehakollektion rotierte in der Waschmaschine. “Verführerisch”, sagte er, “verführerisch – die Äpfel, meine ich”. Bestimmt hatte er schon manche Frau gesehen. Er war kein Kind von Traurigkeit. Maria spürte, wie seine Blicke auf ihrer intimsten Stelle ruhten, und sie strich mit ihrer freien Hand den Rock glatt. “Ich komme gut klar”, sagte sie ein wenig abweisend und streckte sich nach einem der saftigen, süss-säuerlichen Jonathan-Äpfel. “Du Eva, ich Adam”, flachste der Alte. Dann machte er einen Schritt zur Seite. Er gehörte zur Generation, die noch Manieren kannte. Klar gehörte es sich nicht, einer Frau zwischen die Brüste zu schauen – zwischen die Beine schon gar nicht. Allerdings waren solche Feierabendgelegenheiten wie diese hier in einem Rentnermännerleben sehr selten – und der fröhliche Herr Linzer mochte sich Marias Reize nicht entgehen lassen. Er fand sie interessant – nicht unbedingt in sexueller Hinsicht, denn diesbezüglich machte er sich auch keine Hoffungen – er fragte sich aber, wie eine junge Frau wie sie in einer Dreiraumwohnung lebte. Was für Bilder wohl an den Wänden hingen? Wie sie ihre Küche eingerichtet hatte? Was für Döschen, Puderquasten und sonstige Utensilien in ihrem Badezimmer standen? In was für Bettwäsche sie sich legte? Oh, Herr Linzer hatte Frauen schon immer gemocht – natürlich auch seine verstorbene Gattin Hermine. Sie hatte wunderbar gekocht, die Hermine, und sie hatte nur einen einzigen Fehler gehabt. “Liebe machen gibt es bei mir nur im Dunkeln”, hatte sie ihn stets ermahnt und jedes Mal ohne ein weiteres Wort das Licht gelöscht. Wie gerne hätte er einmal in ihre leuchtenden Augen geschaut, ihre schwingenden Brüste beobachtet, während er in sie stiess. Wie gerne hätte er sie einmal genauer untersucht! Alle diese Spielchen, die Männerseelen bewegen, waren ihm bei Hermine aber verwehrt geblieben. Kurz nach ihrem Tod hatte er sich mit sehr schlechtem Gewissen ein paar Sexvideos besorgt. Mit schalem Gefühl hatte er dann im Bett gelegen und Traci Lords betrachtet, Traci Lords mit ihrem Kussmund, der wilden Mähne und den unsäglich langen Brustwarzen, an denen während ihrer Pornokarriere so mancher Japaner, Afrikaner und Euroäer gelutscht hatte. Immer hatte er aber die stechenden Blicke seiner Hermine gespürt, die ihm bestimmt von irgendwoher zusah.

Das hier aber, dieses arglose Zufallserlebnis mit der Nachbarin auf der Leiter, der Blick auf Marias Schamhaarlöckchen, das konnte ihm doch im Ernst niemand verwehren. Herr Linzer blickte wieder hoch und blinzelte. Maria konzentrierte sich ganz auf ihre Äpfel. “Noch einen”, sagte sie zu sich selbst, ging eine Sprosse höher und streckte sich nach dem Jonathan Nummer zehn. Dabei offenbarte sie etwas mehr als nur ihr Schamhaar – das geheimnisvolle Rosa ihres seit längerer Zeit unberührten Geschlechts. “So, das reicht für einen Kuchen”, sagte Maria leichthin, stellte die Leiter zurück und ging neben Herrn Linzer her zurück ins Haus. Bestimmt wurden sie von mehreren Augenpaaren verfolgt. Maria würde mit dieser ureigenen Form von Quartiervoyeurismus fortan leben müssen. Sie mochte Vorhänge nicht besonders, hatte sich aber von ihrer Mutter überzeugen lassen, dass solche zumindest im Schlafzimmer von Vorteil wären. Alle andern Räume gaben den Blick frei nach draussen, einen Blick auf farblose Häuserreihen, den kleinen Hinterhof und den bescheidenen Jonathan-Apfelbaum. Der Blick durchs Fenster war aber genau so frei auf Marias Küche, ihr Wohnzimmer, ihren Korridor und ihre Dusche, wobei zu sagen ist, dass im Badezimmer an Milchglasscheiben gedacht worden war. Die Idee, Herrn Linzer zu Apfelkuchen mit Sahne einzuladen, kam Maria ganz spontan. Ebenso spontan sagte er zu – etwas rasch, wie ihr schien.

Er ging hinter ihr die Treppe hoch und konnte den Blick von ihrem runden Hintern nicht abwenden, über dem sich der schwarz-grau gemusterte Stoff des Sommerrocks spannte. Nur mit Mühe verbarg der Gast seine Neugier und sog jedes Detail in sich auf: die beiden Rosina-Wachtmeister-Bilder im Eingangsraum – das mit dem Fahrrad und das mit der Katze, Marias ausladende Sammlung an Stiefeletten, ihre drei Schuhlöffel, silbern, golden und türkis, der ausgetretene Teppich im Korridor – denselben, den er bei sich oben hatte. Maria betrieb einen gepflegten Einfrauenhaushalt und hatte ihre Wohnung nur mit wenigen Möbeln bestückt. In der Stube dominierte eine blaue Couch. “Von meinem Ex”, erklärte Maria und zuckte indigniert mit den Schultern. In der Zwischenzeit hatte die Maschine unten im Keller den Schleudergang bestimmt beendet. Maria hätte die Gelegenheit packen und ihre Montagbissonntagslipundbehakollektion in den Tumbler schmeissen können, aber sie liess es bleiben. Später hätte sie nicht mehr sagen können, wieso. Herr Linzer ging hinter ihr her in die Küche. Er wusste, dass die geräumigen Küchen eine eingebaute Sitzbank hatten, und er schaute gerne einer Frau beim Apfelkuchenmachen zu. Maria machte sich denn auch ans Werk. Flink rüstete sie die Äpfel, entkernte und entstielte sie, wallte den Teig aus und belegte damit ein rundes, mit gemahlenen Haselnüssen ausgestreutes Kuchenblech. Als sie sich bückte, um den Backofen vorzuheizen, wurde Herr Linzer von einem Wonneschauer erfasst. “Kaffee?” fragte sie ihn freundlich. “Der Kaffee ist fertig” ist eines der Lieder, die ich richtig mag”, schwärmte er. “Der Kaffee ist fertig – klingt das nicht unheimlich zärtlich?” sang er. Maria musste lachen. Da sass ein singender Rentner in ihrer Küche, während ihr Verflossener vielleicht zur selben Zeit in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, in der alten Wohnung, eine neue Frau auszog. Rasch füllte sich die Küche mit Kuchenduft; die grossen Kaffeetassen öffneten den beiden das Herz. Herr Linzer erzählte von früher, von seinem kleinen Schuhmacherladen, der einem Kebab-Take-Away hatte weichen müssen, Maria schilderte ein paar Episoden aus ihrem Verkäuferinnenleben. So sehr Herr Linzer sich konzentrierte – er war ja ein Mann mit Manieren: Marias Schamhaarlöckchen gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ob man eine junge Frau fragen durfte, wieso sie “darunter” nichts trug? War das nicht, um in seiner Sprache zu reden, ungebührlich? Geziemte sich das? “Kommen Sie, Herr Linzer, ich zeige Ihnen den Rest der Wohnung.” Der alte Mann folgte der Aufforderung und wurde von Maria ins Wohn- und danach ins Schlafzimmer geführt. Dort schmiegte sie sich an ihn. “Mein Freund bumst jetzt mit einer andern”, hauchte sie ihm ins Ohr. “Wissen Sie noch, wie das geht, bumsen?” “Wollen wir uns nicht Du sagen”, entgegnete er mit rauer Stimme. “Nein. Ich finde das Sie sexy. Das ist so, als würde ich es mit meinem ehemaligen Deutschlehrer machen. “Kleines Luder, Du”, antwortete Herr Linzer und liess keinen Zweifel offen, dass er liebend gerne auf Marias Angebot einstieg. Dieser weiche, warme Frauenkörper, der sich da an seinem Arm rieb... Marias duftendes Haar, überhaupt dieser Jungesmädchenschlafzimmerduft, vermengt mit dem Apfelkuchenduft aus der Küche... “Wie lange geht es denn, bis wir den Kuchen aus dem Ofen nehmen können?” Herr Linzer, ehemaliger Schuhmacher, dachte praktisch. “Ich hab die Stoppuhr eingestellt”, sagte Maria wegwerfend und knöpfte ihr Kleid auf. Die 40-Watt-Birne beleuchtete erst ihren Hals, dann die Schulterpartie, ihre vollen Brüste. Überrascht stellte Herr Linzer fest, dass sie unter ihrem Kleid gänzlich nackt war. “Meine Montagbissonntagslipundbehakollektion ist unten in der Waschmaschine”, erklärte sie und schlang ihre Arme um den Hals des Rentners. Dieser betastete etwas hilflos Marias Rücken. Es war ja schon eine Weile her, seit er zum letzten Mal... ausserdem war es ja bei Hermine immer dunkel gewesen. Maria drängte ihren Venushügel an Herrn Linzers graue Flanellhose. “Hat Ihnen gefallen, was Sie gesehen haben, vorhin, unter der Leiter?” fragte sie ihn und liess sich aufs Bett sinken. Die 40-Watt-Birne beleuchtete Marias Muschi. Herr Linzer zog langsam sein Jackett aus, so, als befände er sich in einer Filmrolle mit strikten Vorgaben. Das hier war schon was ganz anderes als Traci Lords. Er mochte zwar deren geheimnisumflorten Unschuldsblick, aber Marias braune Haselnussaugen... Dann gab es kein Halten mehr. Herr Linzer versank in ihr und verwandelte sich in den zärtlichen Liebhaber, der er einst gewesen war. Er bedeckte Marias Körper mit kleinen Küssen, verweilte an gewissen Stellen etwas länger, leckte ihre Achselhöhlen.
Der Apfelkuchenduft aus der Küche wurde intensiver; Herr Linzer tauchte zwischen Marias Beine. Mit der Zunge untersuchte er sie ausgiebig, leckte, nibbelte, dibbelte und ribbelte, bis Maria sich vor Lust wand. Dann erst öffnete er seine Flanellhose und schob seinen Grossen Oskar, wie Hermine aus unerfindlichen Gründen dazu gesagt hatte, zwischen Marias Schamlippen. “Sie... sie...” keuchte Maria. Die 40-Watt-Birne beleuchtete ihren Bauch, ihre Brüste, und Herr Linzer konnte sich kaum sattsehen an der Switcher- und Unterwäsche-verkäuferin. Neckisch biss er sie in den linken Oberarm, dann wieder küsste er ihren Hals. “Dreh Dich jetzt um”, bat er sie. “Tu es für mich.” Herr Linzer hatte sein ganzes Leben lang vergeblich davon geträumt, seine Hermine einmal so zu sehen. Im Vierfüssler, mit durchgedrücktem Kreuz, ihr feuchtes Geschlecht ihm bietend. Er drang von hinten erneut in Maria ein und bescherte sich den intensivsten Orgasms seines Lebens.

In diesem Moment piepste die Stoppuhr. Eigentlich wollte Maria bloss einen Apfelkuchen backen.

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