Pater Nico d’Ambrosio war erst vor wenigen Wochen in sein neues Amt eingesetzt worden – in einer kleinen toscanischen Kirche in der Nähe von Siena. Er war ein erfahrener Mann; einer, der es verstand, zuzuhören und in seiner fröhlichen und menschlichen Art den Dorfbewohnern bei ihren grossen und kleinen Sorgen beizustehen. Es war Mittag und er bereitete sich auf eine delikate Angelegenheit vor: Ein junges Mädchen wollte seine Seele vor ihm ausbreiten und hoffte auf Absolution für ihre Sünde. Worum es genau ging, ahnte d’Ambrosio höchstens. Maria Grazia Cattaneo schritt erhobenen Hauptes auf die kleine Kirche zu, die sich auf einer Anhöhe befand. Man hätte ihr kaum angesehen, wie mulmig ihr zumute war. Ihr tiefschwarzes, langes Haar hatte sie hochgesteckt und ihr bestes Kleid angezogen: einen seidenen, malvenfarbenen Rock, der vorne von zuoberst bis zuunterst geknöpft war. Mit klopfendem Herzen betrat sie die kleine Kirche und war froh, der sengenden Mittagshitze für eine Weile zu entkommen. Etwas zögernd ging sie auf den hinteren Teil des wunderschönen romanischen Kirchenschiffs zu. Dort befand sich der Beichtstuhl. Die eben erst erlangten 18 Jahre hätte man Maria Grazia nicht gegeben. Sie war eine Augenweide für jeden, in dessen Adern Lava floss.
Pater d’Ambrosio erwartete sie bereits in einer dunkelblauen Soutane, die mit einer roten Kordel über seinem Bauch zusammengehalten wurde. Der Beichtstuhl war sehr grosszügig gebaut; es hätten problemlos mehrere Gläubige darin Platz gefunden. Er gewährte eine eigentümliche Intimität, die aber bei tiefen Gesprächen von grösstem Nutzen war. Vorsichtig öffnete Maria Grazia die filigran verzierte Tür mit dem Gitter und den Holzkassetten und sah sich direkt dem Pater gegenüber. „Kind, was kann ich für Dich tun?“ fragte er und konnte eine gewisse Neugier nicht verbergen.
Maria Grazias Beichte
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