Mariangela in der Sakristei

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Mariangela in der Sakristei

Mariangela in der Sakristei

Anita Isiris

«Dich bedrückt etwas, Kind, nicht?», sagte er freundlich und legte seine Hand auf Mariangelas Schulter. Pater d’Ambrosio war auch ein exzellenter Psychologe und guter Zuhörer. «Dimmi, cara», sagte er leise, so, als ahnte er bereits, dass Mariangela etwas Diskretes von sich geben würde. Oftmals beichteten die Menschen in Trastevere lediglich, weil für ihre Tiere zu wenig Heu vorhanden war. Oder Frauen, weil sie ein Kind verloren hatten. Oder ein alter Mann, weil er aus gesundheitlichen Gründen in der Vorwoche eine Predigt verpasst hatte. Das Schuldbewusstsein der Menschen war übermächtig und verlieh der Kirche zusätzliche Kontrolle über all die «verlorenen Seelen». Obwohl Mariangela erleichtert war, ihre Sünden, die sie mit Stefano und Ritter Kuno begangen hatte, in Worte zu fassen, trottete sie hinter Pater d’Ambrosio her, als führte dieser ein Schaf zur Schlachtbank. Zu Mariangelas Überraschung schritt der Pater an den beiden Beichtkammern vorbei und öffnete die kleine Tür zur Sakristei, nachdem er dem Sakristan mit Handzeichen zu verstehen gegeben hatte, dass dessen Anwesenheit nicht mehr erwünscht war. Pater d’Ambrosio legte Wert auf absolute Zweisamkeit, wenn es darum ging, den Menschen ihre Sünden abzunehmen. Er ging gebeugt, so, als würde all das, was er jeden Tag zu hören bekam, zentnerschwer auf ihm lasten – der Gedanke an Mariangelas Erzählung aber verlieh ihm einen schon fast jugendlichen Schwung.

Er rückte für Mariangela einen Stuhl zurecht und setzte sich ihr gegenüber. Sie, der Demut anerzogen worden war, staunte nicht schlecht, weil ihr der Pater durch die Aufforderung zum Sitzen Ehre kundtat. Bei früheren Begegnungen musste sie sich immer hinknien, was ihr einmal, nach einem Sturz von Pepina, ihrem Maultier, grösste Schmerzen bereitet hatte.

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