Mariangelas Hochzeit

9 8-13 Minuten 0 Kommentare
Mariangelas Hochzeit

Mariangelas Hochzeit

Anita Isiris

Italiens Kultur war in dieser Hinsicht eine andere – das war Ritter Kuno bewusst. Dennoch wollte er, bei aller Liebe zu Mariangela, nicht auf den Spass verzichten, den es ihm bereiten würde, wenn hungrige Männeraugen seine nackte Braut anstarrten.

Die Hochzeitsvorbereitungen waren in vollem Gange. Die kratzbürstige Mariangela, die sich eigentlich eine Welt ohne Männer wünschte, wurde im Sog der Aufregung mitgerissen. Sie war eine ausgeprochen lebenslustige junge Frau, und opulente Feste in Trastevere waren alles andere als an der Tagesordnung. Mindestens eine Stunde lang beugte sie sich über ihren Waschbehälter, wusch sich an besonderen Stellen ganz besonders gründlich und netzte ihr Haar, auf dass es besser und vor allem gründlicher frisiert werden konnte. Sie wollte, dass ihre Lockenpracht in hellstem Glanz erstrahlte – Mariangelas Haar war auch deren schönster Schmuck. So eifrig widmete sich die Tavernentochter ihrer persönlichen Toilette, dass sie nicht mehr an die noch immer vorhandene Spalte in der Holzwand dachte. Stefano klebte förmlich an dieser Spalte – er liess sich kein Detail von Mariangelas Körper und ihren Bewegungen entgehen. Mit den Augen verschlang er sie ganz und gar, denn schon in der folgenden Nacht würde sie im mit Steingemäuern umfassten Schlafgemach der ehelichen Pflicht mit diesem deutschen Edelmann nachkommen. Dort gab es keine Ritzen in der Mauer, lediglich das dumpfe Geräusch lustvollen Stöhnens würde dann und wann an Stefanos hochrote Ohren dringen.

Dann geschah etwas nicht ganz Unerwartetes, aber alle hatten die Tatsache verdrängt: Mariangelas schwerkranke Mutter rief mit matter Stimme nach ihrer Tochter. „Ragazzella“, sagte sie zärtlich und öffnete ihre verschleierten Augen. „Fatti sposare – e una bella vita“. „Lass Dich heiraten – ein schönes Leben noch“. Dann schloss Mariangelas Mutter für immer die Augen.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 7574

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben