Mariangelas Hochzeit

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Mariangelas Hochzeit

Mariangelas Hochzeit

Anita Isiris

Es kam der Abend, und Mariangela wirkte engelsgleich blass, mit hochgestecktem schwarzglänzendem Haar und offenen braunen Augen. Sie war das Herzbegehr sämtlicher Bewohner von Trastevere, und es gab keinen, der nicht heimlich, des Nachts, an sich gearbeitet hätte, tief in Gedanken an die nackte Mariangela, während die Moglie, die Ehefrau, nebenan ahnungslos schnarchte. Hätte man all die Gedankenbilder nebeneinander-gelegt, wäre dies einer Gesamtstudie des weiblichen Körpers nahegekommen, so unterschiedlich waren die Vorstellungen, die sich die Bewohner von Trastevere von Mariangelas nacktem Körper genehmigten. Schwere, eher formlose Euter kreuzten sich mit pittoresken Jungfrauenbrüstchen, feste, pralle Schamlippen überlagerten Gedanken an ein hübsches, tiefschwarzes Wäldchen. Mariangelas Hintern war für alle der heilige Gral weiblicher Lustbarkeit.

Nun wurde gezecht und gebechert, dass es eine Freude war – mit einer Ausnahme: Mariangelas Vater stand etwas abseits, mit Schweissperlen auf der Stirn, denn die Scharen von Menschen, die in die kleine Taverne strömten, würden sein Einkommen schmälern. Zumindest hatte er das Glück, dass sein Vermögen zu wesentlichen Teilen aus Naturalien bestand: Er besass den schönsten Weinkeller von Trastevere mit erlesenen Tropfen, die Vorratsräume waren prall gefüllt mit Schinken, gesalzenem Pökelfleisch und getrocknetem Fisch. Stefano eilte unermüdlich in den Keller und zurück auf die von der Abendsonne beschienene Terrasse, um die Hochzeitsgäste zu bedienen, die schamlos zugriffen. Alle wollten Melonenspiesschen, gebratenes Huhn und eine Scheibe Schweinefleisch ergattern – auch die Menschen, die draussen vor der Taverne in einer grossen Traube darauf warteten, eingelassen zu werden. Alle liessen Mariangela hochleben, und bei jedem Zuprosten wurde das Herz von Mariangelas Vater schwerer.

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