Es regnete Bindfäden, und über mir wölbte sich ein Himmel in mesmerisierendem graublau. Keine Faser an mir war mehr trocken – da half auch die GoreTex-Werbung nicht weiter. Ich war mehr als nur froh, als ich am Ende des gewundenen Tals ein paar Lichter entdeckte. Ein Dorf. Genau das also, was ich für die Nacht benötigte. Ich freute mich auf ein leckeres Essen, Kaninchen mit Polenta oder so, und dazu einen schweren Wein aus dieser Gegend, die ich so liebte. Ich beschleunigte den Schritt, obwohl ich eigentlich genug Zeit hatte und jetzt schon pitschnass war – aber ich beschleunigte den Schritt. Aus Vorfreude auf den Abend. Wandern ist für mich im Grunde ein gesellschaftlicher Anlass, und in meiner Heimat Zakynthos hätte ich nicht im Traum daran gedacht, die Pinienhaine und die endlosen Strände allein zu erkunden. Hier aber, im Südtirol, nutzte ich die Einsamkeit zum Meditieren. Ich konnte mir das leisten; Zeit und Geld hatte ich in Hülle und Fülle. Ich fühlte mich schon ganz als die Schriftstellerin, die ich immer sein wollte. Hier eine Lesung, dort eine Kolumne... und schon konnte ich einen weiteren Monat von den Einnahmen leben – wenn auch nicht immer fürstlich. Es sei aber gesagt, dass der Gegend auch etwas Unheimliches anhaftete, etwas Atavistisches gar. Ob es hier Trolle gab? Faune? Feen? Satyrn? Ich ahnte es und sah vor mir eine gigantische Herberge mit schweren Eichentischen, flackernden Fackeln und knarrenden Holzböden.
Wenig später stand ich dann vor genau so einer Herberge. Die Fenster waren beschlagen, und der Ort war weit entfernt von dem, was man als gastlich bezeichnen konnte. “Herberge” ist ja eine noch eher dezente Bezeichnung. “Spelunke” hätte besser gepasst. Aber ich durfte nicht wählerisch sein, fasste mir ein Herz und drückte die schwere Messingklinke. Irgendetwas gefiel mir nicht hier – ganz und gar nicht, und mein Instinkt betrügt mich so gut wie nie.
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