Ich hasse diesen Spiegel im Eingangsbereich des Studios. Jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe, gleitet mein Blick prüfend über meinen Körper. Und jedes Mal bin ich unzufrieden damit, was ich sehe. Mal, weil ich eine zu dicke Variante von mir sehe. Mal, weil ich der Meinung bin, ich bin nicht muskulös genug. Dabei weiß ich, dass mir das Spiegelbild nicht die Wahrheit sagt. Dass ich es ignorieren muss, um nicht in alte Muster abzugleiten. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass ich heute wieder stabil bin – stabiler, zumindest. Aber die Jahre, in denen Essen und Gewicht mein ganzes Denken beherrschten, haben mich gezeichnet. Unsichtbar für die meisten, die mich nur oberflächlich kennen, für mich aber unübersehbar und nachhaltig.
Jonas weiß davon. Ihm habe ich gleich davon erzählt, als ich ihn kennenlernte. Damals, als ich wieder auf dem Weg zurück war und mit dem Personaltraining begann. Manchmal frage ich mich, ob ich es ihm aus Angst gesagt habe, damit er mich nicht für zu schwach hält. Oder doch als Schutz vor mir selbst, um Sport nicht dazu zu nutzen, um meiner nun in den Griff bekommenen Sucht ein neues Gesicht zu geben. Auf jeden Fall war seine Reaktion professionell, zugleich menschlich – er nickte, machte sich Notizen, und versprach, ein Auge darauf zu haben. Nicht zu viel Druck, nicht zu ehrgeizige Ziele, immer in Balance. So etwas wie meine geheime Absicherung gegen mich selbst.
An diesem Abend war es spät geworden, die Arbeit hatte mich wieder einmal viel zu lange beansprucht. Ich hetzte direkt nach einem gefühlt endlosen Marathon aus Meetings ins Studio, die Tasche halb offen, die Haare noch streng zusammengesteckt. Jonas grinste, als er mich sah. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.“
„Ich habe es versprochen“, keuchte ich.
Mehr als genug
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