Eigentlich war es eine ganz nette Idee der Kollegen gewesen, ihm zum 40. Geburtstag einen mehrtägigen Fotoworkshop zu schenken. Es hätte ihn endlich mal wieder "unter die Leute" bringen sollen. Was die Kollegen nicht ahnen konnten war die Tatsache, dass Daniel solche Zirkel von fortgeschrittenen Amateuren meist entsetzlich fand. Und tatsächlich gingen ihm schon knapp eine viertel Stunde nach Beginn des Workshops die ersten Teilnehmer mit ihren Gesprächen über Spotmessung, Piezzodrives und andere technische Details auf die Nerven. Ihr Vokabular lies vermuten, dass sie sich als Mitglieder eines Geheimbundes empfanden. Die Landschaft - das erste Thema des Tages - nahmen viele der Anwesenden jedenfalls nur nebenher wahr. Die Gruppe bestand aus 12 Männern, die meisten in seinem Alter oder etwas darüber, und immerhin zwei Frauen. Drei oder viermal hatte er mit einer der beiden Blickkontakt während der folgenden Stunden, denn es fiel ihm auf, dass sie sich - wie er - etwas abseits der Gespräche hielt. Sie anzusprechen wagte er aber nicht.
Nach dem praktischen Teil fand sich die Gruppe in einer Ecke der Bar des Hotels zusammen, in dem die Seminare stattfanden. Der Kursleiter hatte einen Projektor und eine Leinwand aufgebaut um einige Bilder des Tages zu zeigen und diskutieren zu lassen. Noch etwas später begann er mit dem Ausblick auf den nächsten Tag.
"So, meine Damen", kurzes Nicken in Richtung der Frauen, "und Herren. Wie bekannt beschäftigen wir uns Morgen mit Aktaufnahmen. Ich habe auch dazu schon einige Bilder, die ich ihnen gerne als Vorbereitung - und vielleicht auch zum Abbau von Schüchternheit - zeigen möchte. Kommentieren sie, was immer ihnen auffällt, und erzählen sie, was sie persönlich erwarten." Ein unerträgliches Blabla folgte, erst zögerlich, später etwas befreiter, aber in jeder Hinsicht vorhersehbar. Formen und Strukturen, Licht und Schatten, Tiefenschärfe, Anspruch, Abstrahieren, und dann - endlich - die Aussage eines besonders einfühlsamen Zeitgenossen: "In jedem Fall darf Akt nicht mit Pornographie verwechselt werden..." Zustimmendes Gemurmel der Teilnehmer, weises Nicken des Kursleiters. Daniel wusste, dass dies ein Moment zum Schweigen war, aber niemand hier kannte ihn oder würde ihn je wiedersehen, also wagte er sich vor: "Sehe ich anders! Ich finde Aktaufnahmen ohne einen Hauch von Pornographie extrem öde.", warf er Todes verachtend in die Debatte. Erschrockenes Zischen, entrüstete Blicke, Kopfschütteln, aber - und das registrierte er trotz seiner Genervtheit sehr genau - auch ein Kichern. Niemand ging auf seinen Einwurf ein, und kurz darauf hatte die Meute ihn gefühlsmäßig aussortiert, und sich wieder beruhigt. Nur dann und wann drehte sich ein einzelner Kopf zu ihm hin und grinste abschätzig. Daniel gönnte sich noch einen Wein, und als die Gruppe sich langsam auflöste, verzog er sich ohne Gruß aus der Bar. Gerade wählte er im Lift seine Etage, als die eine der beiden Frauen durch die sich schließenden Türen zu ihm hinein schlüpfte. Er befürchtete sich nun eine Rechtfertigung aus den Fingern saugen zu müssen als ihm klar wurde, dass sie vorhin gekichert hatte. Sie grinste ihn an: "Bundeskanzler werden sie so aber vermutlich nicht!"
Mehr Pornographie wagen
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