Merci, Gabriel

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Merci, Gabriel

Merci, Gabriel

Chloé d'Aubigné

Später lagen wir nebeneinander, und ich konnte kaum glauben, wie selbstverständlich sich seine Nähe anfühlte. Wir liebten uns noch einmal, ein wenig selbstbewusster, ein wenig vertrauter. In den Wochen danach wurde aus unserer Unsicherheit etwas Neues: Wir lernten einander kennen, die Eigenheiten, das Lachen, das Seufzen. Ich fühlte Gabriel Hände auf mir. In mir. Es war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ja, es hatte eine magische Dimension. Er verwandelte mich mit seinen Berührungen in etwas Wertvolles.
Manchmal betrachtete ich mich im Spiegel, mit verwischtem Lippenstift und zerzausten Haaren, und musste lächeln.
Dann kam mein letzter Abend in Paris. Die Stadt lag schwer und golden im Licht der untergehenden Sonne, und ich wusste, dass ich diesen Moment festhalten wollte, ohne zu wissen, wie. Gabriel kam zu mir in die Wohnung, so selbstverständlich, als hätte er nie woanders hingehört. Dass unsere Zeit begrenzt war, hatten wir von Anfang an bewusst. Wir hatten nie darüber gesprochen, was danach sein würde. Vielleicht, weil wir beide spürten, dass es keinen gemeinsamen Morgen geben würde. Wir waren dankbar für das, was wir hatten – und das wollten wir uns nicht nehmen lassen durch Abschiede, die zu viel versprechen.
Ich hatte mich zurechtgemacht, wie immer, mit meinem roten Lippenstift. Als Gabriel hereinkam, blieb er in der Tür stehen, sah mich an und lächelte. „Warum trägst du eigentlich wieder Lippenstift?“, fragte er leise. „Du bist doch auch ohne Make-up wunderschön.“
Ich zuckte die Schultern, versuchte zu lächeln. „Er gibt mir Sicherheit“, sagte ich, fast entschuldigend. „Mit Lippenstift fühle ich mich ein bisschen mutiger. Als könnte mir nichts passieren.“
Er sah mich fragend an, als könnte er das nicht ganz begreifen. Da überkam mich der Wunsch, mich ihm ganz zu zeigen – ohne Masken, ohne Schutz.
„Doch heute sollst Du mich einmal ohne sehen“, fügte ich hinzu – zu seinem wie auch meinem Erstaunen. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Ich griff nach meinem Abschminktuch, setzte mich vor den Spiegel und begann, mich langsam abzuschminken. Gabriel blieb still, beobachtete jede meiner Bewegungen. Es fühlte sich ungewohnt an, so entblößt vor ihm zu sitzen. Ja, zum ersten Mal fühlte ich mich vor ihm so wirklich nackt. Aber es machte mir keine Angst, es war vielmehr befreiend.

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Bin sehr berührt!

schreibt Intimox

Liebe Chloé, ich liebe deinen feinen gefühlvollen Schreibstil. Wie gerne würde ich den Menschen hinter diesen Geschichten kennen lernen.... 🌷

Gedichte auf den Leib geschrieben