Michelle & Michael

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Michelle & Michael

Michelle & Michael

Jürgen Lill

Mein Leben verläuft mehr in der Fantasie meiner gezeichneten Helden, als im realen Leben.
Heute hatte ich einem Mädchen das Leben gerettet, das zufällig den gleichen Namen trug wie ich, einen Zuhälter bewusstlos geschlagen, ihm eine Pistole und Geld abgenommen und ihn vor die Tür gesetzt. Dann hatte das Mädchen meine Gedanken gelesen und mich eingeladen, mit ihr zu baden. Und das konnte ich einfach nicht!
Alles war heute anders. Ich war noch nie ein Held und werde wohl auch nie einer sein. Meine letzte Beziehung lag Jahre zurück und weil ich nicht der Mensch bin, der leicht Kontakte knüpft, investierte ich ab und zu ein paar Euro in das zweifelhafte Vergnügen mit einer Dame in der Herbertstraße.
Und jetzt saß dieses Mädchen in meiner Badewanne; dieses Mädchen, das sich genauso in meine Gedanken eingeklinkt hatte, wie es meine Gedanken ausfüllte.
„Störe ich?“ hörte ich plötzlich ihre sanfte Stimme neben mir und fuhr zusammen. Ich hatte sie nicht kommen hören.
„Du hast geträumt“ fuhr sie, in mein Badetuch gewickelt, fort. „Aber das ist ganz normal. Auch für mich war heute ein nicht alltäglicher Tag. Immerhin wollte ich heute sterben.“
„Wie geht es Dir jetzt?“ fragte ich. Vor ihrem letzten Satz wollte ich sie eigentlich fragen, ob sie schon wieder anfängt, meine Gedanken zu lesen. Aber nach diesem Satz war nur noch wichtig, wie es ihr ging.
„Danke“ antwortete sie. „Besser. Das Bad ist jetzt frei.“
Ich nickte nur, verwirrt darüber, keinen klaren Gedanken fassen zu können und stotterte: „Danke. Du kannst es Dir im Wohnzimmer gemütlich machen, solange ich im Bad bin.“
Damit schob ich mich an ihr vorbei durch die Küchentür, sorgsam darauf bedacht, sie nicht zu berühren. Und sie machte mir verlegen Platz.
Michelle hatte ihr Wasser in der Wanne gelassen. Und das störte mich auch nicht. Es war noch warm und vermittelte mir auf irgendeine, mir unerklärliche Weise das Gefühl, Michelle zu berühren, die Wärme ihres Körpers zu spüren und sie zu berühren.

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Gedichte auf den Leib geschrieben