Michelle & Michael

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Michelle & Michael

Michelle & Michael

Jürgen Lill

Dann wurden wir hochgezogen. Oben griffen viele Hände nach uns, aber wahrscheinlich eher, um die nackte Frau zu begrapschen, als um uns wirklich zu helfen. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, das Bewusstsein zu verlieren. Aber ich fühlte mich und vor allem die junge Frau von unseren Rettern irgendwie bedroht und klammerte mich an mein Bewusstsein. Mühsam stand ich, die Frau auf meinen Händen tragend, auf und sah mich um.
„Wo ist der Mantel?“ fragte ich, bekam aber keine Antwort. Irgendjemand hatte doch tatsächlich den Mantel der Frau gestohlen, während wir um unser Leben gekämpft hatten. Ein junger Mann mit der Stimme des Mannes, der uns das Seil zugeworfen hatte, sagte: „Geben Sie sie mir. Ich kenne sie.“
„Ziehen Sie Ihren Mantel aus“, erwiderte ich, aus Angst, die Frau könnte erfrieren. Aber da kam endlich ein Notarztwagen. Die Frau wurde sofort in warme Decken gehüllt und auf einer Trage in den Wagen geschoben. Auch mich zog man aus. Man wickelte mich ein und legte mich daneben. Ich sah die Frau, ich sah, dass der Sanitäter mit mir sprach, aber ich konnte ihn nicht mehr hören. Dann wurde es schwarz.
Als ich wieder zu mir kam, zitterte ich vor Kälte, obwohl ich warm eingepackt war. Die Sanitäter hatten die Frau und mich gut versorgt. Und nachdem ich ein paar Fragen beantwortet hatte, fuhren sie uns zu mir nach hause. Die Frau vertrauten sie mir wie selbstverständlich an. Sie legten sie in mein Bett, gaben mir den Rat, sie und auch mich selbst warm zu baden, da das Wasser im Hafen alles andere als gesund sei und verabschiedeten sich.
Ich ging wieder ins Schlafzimmer, um nach der Frau zu sehen. Sie war jetzt wach. Als sie mich sah, stellte sie mir die in ihrer Situation allgemein anerkannte Klischee-Frage: „Wo bin ich?“
Und ich antwortete genauso geistreich: „In Sicherheit“, was auch immer das bedeuten mochte.

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Gedichte auf den Leib geschrieben