Wenn man mit 40 einen schweren Motorradunfall hat und einem die Ärzte sagen, dass man seine Beine vielleicht nie wieder zu 100% gebrauchen kann, dann zieht einem das erst mal den sprichwörtlichen Teppich unter den Füßen weg. Eine Zukunft im Rollstuhl, zu Hause alles umbauen, ins Auto – wenn überhaupt – nur noch mit Hilfe einsteigen können und auch sonst bei fast allen Tätigkeiten des Alltags auf Hilfe angewiesen sein, bei solchen Aussichten schwindet der Lebensmut rapide. So erging es mir vor etwa 4 Monaten.
Zur Krönung hatte meine Frau die Scheidung eingereicht. Sie war ausgezogen, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war und 8 Wochen lang in einer Reha-Klinik einigermaßen auf meine Zukunft vorbereitet wurde. Schnell hatte sie einen ‚Neuen‘ gefunden. Sowieso jünger als ich und voll „einsatzfähig“. Der Klassiker. Mit einem Krüppel wie mir, wollte sie auf keinen Fall den Rest ihres Lebens verbringen. Wie sagt man so schön: „Wenn schon Scheiße, dann Scheiße mit Schwung.“
Meinen Job als Sachverständiger Außendienstmitarbeiter einer bekannten Versicherung konnte ich im Moment auch nicht mehr ausüben. Logisch. Wie sich das beruflich weiterentwickeln sollte, würde die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall hatte man mir eine Position im Innendienst zugesagt. Wenigstens in dieser Sache ein kleiner Lichtblick.
Mein kleines Häuschen war mittlerweile so umgebaut, dass ich auf den jeweiligen Etagen mit dem Rolli überall hinkommen konnte. Die Treppe ins Obergeschoss war mit einem Behindertenfahrstuhl nachgerüstet, das Bad vergrößert und ebenfalls behindertengerecht gestaltet.
Der Unfall hatte mich morgens auf dem Weg zur Arbeit aus meinem gewohnten Tagesablauf gerissen. So ein dämlicher Halbwüchsiger mit seinem tiefergelegten 3er BMW hatte mich geschnitten und unsanft in die Leitplanke rasen lassen.
Wenn man dem Ganzen wenigstens etwas Positives abgewinnen wollte, dann, dass es sich um einen Arbeits- oder Wegeunfall handelte und die Heilbehandlung von der Berufsgenossenschaft getragen wurde. Dadurch bekam man mehr und bessere Leistungen, als würde man auf die Krankenkasse angewiesen sein.
Ich hatte eine Haushaltshilfe. Einen Zivildienstleistenden, der von ca. 08.30 bis 17 Uhr in meinem Haushalt nicht nur für Ordnung sorgte, sondern auch den Einkauf und meine Botengänge erledigte, aber auch sonst für mich da war. Waschen oder duschen, Unterstützung beim Toilettengang und natürlich auch beim Anziehen. In den letzten Monaten hatte sich zwischen uns, trotz des großen Altersunterschiedes, so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Ich denke das bleibt nicht aus, er kannte jeden Zentimeter meines Körpers, meine Vorlieben, meinen Gemütszustand und ein paar meiner Geheimnisse.
Oft kam er auch freiwillig an den Wochenenden, obwohl er das nicht musste. Sonst kam an den Tagen jemand von der ambulanten Pflege.
Soweit die Einleitung …
Nun sitze ich hier am Ententeich im Park und werfe Stück für Stück altes Brot in das Wasser, wo es sofort gierig von einer Wolke Vögel aufgenommen wird. Um Abwechslung in dieses doch langweilige Unterfangen zu bringen, werfe mal links mal rechts, dann wieder etwas weiter weg. Und wenn wieder ein Brocken auf die Oberfläche trifft, setzt wildes Flügelschlagen ein, das in einer ordentlichen Schlacht ums „kalte Buffet“ endet.
Das Wetter ist sonnig und warm. Der Frühling meint es mal wieder richtig gut mit uns. Eltern üben mit ihren Kleinen das Radfahren, überall Spaziergänger, E-Biker, Inliner und nicht zuletzt eine Horde mehr oder weniger gut trainierter Jogger versuchen die Grenzen ihrer Kondition auszuloten.
Ich würde auch gern joggen. Darin war ich mal ganz passabel und konnte sogar den einen oder anderen Halbmarathon in meiner Altersklasse gewinnen. Tja… nun sitze ich hier in meinem AOK-Shopper mit angezogener Handbremse, um nicht ins Wasser zu rollen und nehme das rege Treiben hinter mir kaum war. Zu sehr bin ich mit meinen Gedanken woanders. Vielleicht sollte ich die Handbremse lösen, dem Drama der Zukunft entfliehen und dem Ganzen ein Ende setzen? Niemandem zur Last fallen, besonders mir selbst nicht. Geistesabwesend zupfe ich die Brotscheiben auseinander und werfe schon fast automatisch.
Immer wieder kreisen die Gedanken darum, wie ich meinem Leben ein Ende setzen könnte. Schmerzlos, schnell und endgültig. Laut sagen darf ich das nicht, schnell hätte man mich zu irgend so einem Phsychodoc geschleppt oder sogar weggesperrt. Suizidgefährdet würde man mich unter Daueraufsicht stellen. Das darf niemals passieren. Also schweige ich lieber zu diesem Thema anderen gegenüber.
Die nächste Woche vergeht wie im Fluge. Nichts Besonderes passiert, immer der gleiche Trott. Aber doch, es gibt was Besonderes… es ist die letzte aktive Woche von Fips. Er hat mir zwar fest versprochen mich des Öfteren zu besuchen, aber es wird nicht mehr dasselbe sein. Freitag ist offiziell sein letzter Tag.
Mit dem Rolli..
schreibt Huldreich