Mit dem Rolli ins Glück - Kapitel 1

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Mit dem Rolli ins Glück - Kapitel 1

Mit dem Rolli ins Glück - Kapitel 1

Gero Hard

Wenn man mit 40 einen schweren Motorradunfall hat und einem die Ärzte sagen, dass man seine Beine vielleicht nie wieder zu 100% gebrauchen kann, dann zieht einem das erst mal den sprichwörtlichen Teppich unter den Füßen weg. Eine Zukunft im Rollstuhl, zu Hause alles umbauen, ins Auto – wenn überhaupt – nur noch mit Hilfe einsteigen können und auch sonst bei fast allen Tätigkeiten des Alltags auf Hilfe angewiesen sein, bei solchen Aussichten schwindet der Lebensmut rapide. So erging es mir vor etwa 4 Monaten.

Zur Krönung hatte meine Frau die Scheidung eingereicht. Sie war ausgezogen, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war und 8 Wochen lang in einer Reha-Klinik einigermaßen auf meine Zukunft vorbereitet wurde. Schnell hatte sie einen ‚Neuen‘ gefunden. Sowieso jünger als ich und voll „einsatzfähig“. Der Klassiker. Mit einem Krüppel wie mir, wollte sie auf keinen Fall den Rest ihres Lebens verbringen. Wie sagt man so schön: „Wenn schon Scheiße, dann Scheiße mit Schwung.“

Meinen Job als Sachverständiger Außendienstmitarbeiter einer bekannten Versicherung konnte ich im Moment auch nicht mehr ausüben. Logisch. Wie sich das beruflich weiterentwickeln sollte, würde die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall hatte man mir eine Position im Innendienst zugesagt. Wenigstens in dieser Sache ein kleiner Lichtblick.

Mein kleines Häuschen war mittlerweile so umgebaut, dass ich auf den jeweiligen Etagen mit dem Rolli überall hinkommen konnte. Die Treppe ins Obergeschoss war mit einem Behindertenfahrstuhl nachgerüstet, das Bad vergrößert und ebenfalls behindertengerecht gestaltet.

Der Unfall hatte mich morgens auf dem Weg zur Arbeit aus meinem gewohnten Tagesablauf gerissen. So ein dämlicher Halbwüchsiger mit seinem tiefergelegten 3er BMW hatte mich geschnitten und unsanft in die Leitplanke rasen lassen.

Wenn man dem Ganzen wenigstens etwas Positives abgewinnen wollte, dann, dass es sich um einen Arbeits- oder Wegeunfall handelte und die Heilbehandlung von der Berufsgenossenschaft getragen wurde. Dadurch bekam man mehr und bessere Leistungen, als würde man auf die Krankenkasse angewiesen sein.

Ich hatte eine Haushaltshilfe. Einen Zivildienstleistenden, der von ca. 08.30 bis 17 Uhr in meinem Haushalt nicht nur für Ordnung sorgte, sondern auch den Einkauf und meine Botengänge erledigte, aber auch sonst für mich da war. Waschen oder duschen, Unterstützung beim Toilettengang und natürlich auch beim Anziehen. In den letzten Monaten hatte sich zwischen uns, trotz des großen Altersunterschiedes, so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Ich denke das bleibt nicht aus, er kannte jeden Zentimeter meines Körpers, meine Vorlieben, meinen Gemütszustand und ein paar meiner Geheimnisse.

Oft kam er auch freiwillig an den Wochenenden, obwohl er das nicht musste. Sonst kam an den Tagen jemand von der ambulanten Pflege.

Soweit die Einleitung …

Hätte Fips mich nicht noch zurückgehalten und mich gebeten dem Ekel eine zweite Chance zu geben, ich hätte meine Kontaktdaten ganz sicher nicht dort gelassen. Ich gebe ihm Zeit bis Sonntag. Hat er dann nicht angerufen, lasse ich mir am Montag von meinem Chef eine neue Adresse geben, so einfach ist das.

Freitag. Fips weckt mich. Wie kommt der hier rein, denke ich noch verschlafen. Dann fällt es mir ein, er hat ja einen eigenen Schlüssel zum Haus. Bei seinem Nachfolger wird mir das sicher nicht noch mal passieren, schwöre ich mir innerlich und bin sauer auf mich selbst. Kein freundliches „Guten Morgen“ oder „Hey, gut geschlafen?“, höre ich wie sonst von ihm, sondern: „Hast du sie angerufen?“

„Nein, habe ich nicht. Ich will jemand anderen. Männlich. Das Amt muss sich kümmern.“, antworte ich gequält, weil er mich schon aus dem warmen Bett zerrt.

Heute ist er grob zu mir. Er ist immer noch sauer auf mich, weil ich Svea gestern so angeblafft habe. Und weil ich mich nicht auf sie eingelassen habe, sondern heute das Amt um einen anderen Pfleger bitten will. Nachdem er mich im Bad unterstützt und mich angezogen hat, sitzen wir zusammen in der Küche beim Frühstück. Warum überrascht es mich nicht, dass Fips auf mich einredet, es mit Svea zu probieren. Eine Frau im Haus würde mir guttun, meint er und vielleicht hat er sogar recht damit. Nach der Trennung habe ich kein weibliches Wesen mehr an mich herangelassen. Vielleicht auch ein Grund, warum ich mich Svea gegenüber so unfair verhalten habe.

Wäre es im Krankenhaus so anders, wenn die Schwestern dort die Pflege übernähmen? Oder eine Ärztin eine intime Untersuchung durchführt? Es gibt auch weibliche Urologen oder männliche Frauenärzte. Warum stelle ich mich eigentlich so an? Auch Fips hat noch ein paar ganz brauchbare Argumente, die für Svea sprechen.

Je länger ich darüber nachdenke ist mir klar, dass ich mich zumindest bei ihr entschuldigen will. Nein, nicht will, sondern auch muss.

Auch Fips’ Laune hat sich nach dem Gespräch deutlich gebessert. Ein kurzfristig dringender Termin zwingt ihn allerdings, mich heute schon um kurz nach Mittag allein zu lassen. Erst überlege ich, meine Mutter anzurufen, damit sie heute Nachmittag die Vertretung übernimmt. Besser finde ich aber meine spontane Idee, Svea heute Nachmittag zu mir zu bitten. Zum Kaffee, zum Entschuldigen und vielleicht ein paar Probestunden mit mir zu verbringen. Ich rufe sie an….

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Mit dem Rolli..

schreibt Huldreich

Lieber Gero Hard! Ihre Geschichte gefällt mir ausgesprochen gut, ganz anders als die meisten, mit sehr sehr viel Liebe und Tiefgang, vielen Dank. Ich freu mich schon auf die Fortsetzung Liebe Grüsse Ulrich Hermann

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