Ja, ich weiß, ich erfülle gerade voll und ganz das Klischee der Beamtin. Nur mittelmäßig formelle Kleidung, früher Feierabend, Spaziergang im Park, Entspanntheit. Aber mir ist es egal – wenn man mich in diese Schublade stecken will, gerne. Gerne nehme ich dies hin – und zwar mit einem breiten Grinsen. Ich lasse mich treiben, ohne Ziel, ich genieße es, wieder und wieder. Es gibt schlechtere Klischees, denke ich – und fühle mich noch ein klein wenig glücklicher, als ich es ohnehin schon bin.
Während ich durch den Park schlendere, fange ich an, in Erinnerungen zu schwelgen. Es ist fast lustig, wie weit entfernt mir das alles vorkommt: die endlosen Stunden in der großen Kanzlei, in meinem früheren Leben. Ich war jung – zu ehrgeizig vielleicht – und überzeugt davon, dass nur dieser eine Weg in die richtige Richtung führt. Spätestens als Assistentin in einer guten Kanzlei, so dachte ich damals, legt man die entscheidenden Grundsteine für eine große Karriere. Das strenge Kostüm, das zu engen Schuhe, und das Gefühl, immer ein bisschen schneller, ein bisschen cleverer als die anderen sein zu müssen.
Die Kanzlei war ein einziger Taumel aus Adrenalin und Termindruck – und doch hängt an diesen Erinnerungen so viel Glanz, dass ich manchmal kaum weiß, ob das nur die Nostalgie hübsch eingefärbt hat. Besonders lebendig wird in mir immer das Treiben an Tagen, an denen Schiedsgerichte stattfanden: plötzliche Unruhe, flatternde Akten, und Mandanten, die selbst das Wartezimmer wie ein Parkett betreten haben. Es waren meistens Männer, die sich ihrer Macht ebenso bewusst waren wie ihres maßgeschneiderten Anzugs. In diesen Momenten vibrierte alles: Moschus, Geld, Rechthaberei – ich war mittendrin, unsichtbar aber elektrisiert.
Natürlich wusste ich schon damals, wie durchsichtig diese Machtspiele waren. Ich spielte mit, ließ mich von deren Größen und Wichtigkeit blenden und beobachtete mit einer Mischung aus Spott und Faszination. Wir, die jungen Assistentinnen, wussten, dass wir Teil einer Inszenierung waren. Und trotzdem – vielleicht sogar deshalb – war es aufregend. Rückblickend muss ich schmunzeln, wie sehr ich in die Rolle der karrierehungrigen Jura-Studentin eingetaucht bin, die am liebsten alles im Griff hat und sich jeden Tag beweisen will. Ich weiß nicht, ob ich es mir so einreden will oder ob es wirklich so war, aber: Ich war nicht nur Hauptdarstellerin meines eigenen Kanzleikitschs, sondern auch seine belustigte Zuschauerin.
Nach Feierabend
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Nach Feierabend
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Genau.
schreibt Bernard