Nach Feierabend

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Nach Feierabend

Nach Feierabend

Chloé d'Aubigné

Besonders spannend war es, wenn die Schiedsgerichte ein Ende gefunden hatten. Die Akten waren geschlossen, die letzten Hände geschüttelt, und irgendetwas vibrierte in mir – ein prickelndes Mischgefühl aus Erschöpfung, Stolz und einer Art heimlicher Vorfreude. Plötzlich war man nicht mehr Gegner, sondern erinnerte sich, dass man Kollegen war Und gleichzeitig war da immer noch die Anspannung der letzten Tage, die weiterhin in der Luft lag und sich nun in einer Form entladen musste – doch nun abseits von Gesetzen. Es war fast schon ein Ritual: Nach dem Adrenalinschub der Sitzung suchten wir Zuflucht in dunklen Bars, manchmal in Hotelzimmern mit Aussicht auf die schimmernde Stadt. Es war diese besondere Erschöpfung, aus der eine gewisse Bedürftigkeit wuchs – nach Nähe, nach etwas Körperlichem, das jenseits aller Paragrafen lag.
Die älteren Herren waren meistens sehr direkt, wussten, was sie wollten, und nahmen sich das auch. Weil sie wussten, dass sie es in diesen Nächten durften. Als wäre es ein ungeschriebenes Gesetz. Es begann immer mit einem Spiel aus Blicken und Andeutungen. Man wollte damit wohl sicherstellen, dass man dasselbe wollte. Dass die andere Person wusste, worauf sie sich hier einließ. Es war eigentlich eine Farce. Sobald man an jenen Abenden auf einen Drink mitging, hatte man quasi schon zugestimmt, zu allem bereit zu sein. Und doch war e sein Spiel, das ich mitspielte. Weil es Teil des Rituals war. Ein Spiel, das ich sogar etwas genoss, weil es seine eigenen Gesetze hatte. Weil es seinen eigenen Reiz hatte. Jede Begegnung hatte ihre eigenen Regeln, doch immer schwang das Wissen mit, dass dies der Moment war, in dem alles erlaubt war, nichts Konsequenzen hatte. Außer vielleicht ein etwas zu großzügiges Weihnachtsgeschenk im nächsten Jahr. Doch abgesehen davon - man würde sich ohnehin längere Zeit nicht mehr sehen. Und falls doch, lächelte man vielsagend und schwieg über das Geschehene. Und man würde ganz sicher nie wieder darüber sprechen.
Ich weiß, wie sehr das alles nach Romanvorlage klingt: die Assistentin, die sich dem Reiz der Macht und des Moments hingibt, wissend, dass sie nur eine Nebenrolle in einer Inszenierung spielt, die so alt ist wie das Klischee selbst. Aber ich war mir jeder Sekunde bewusst. Ich hatte die Kontrolle, liebte das Knistern und ließ mich darauf ein, weil es prickelnd, aufregend und herrlich unvernünftig war. Meine Haut erinnerte sich viel länger an diese Begegnungen als mein Verstand. Es waren Alte Herren, aber sie wollten uns beeindrucken. Wollten sich selbst etwas beweisen – und wollten hören, dass sie es noch draufhaben. All dies bestätigten wir ihnen nur allzu gerne. Manchmal, weil es stimmte. Manchmal, weil es einfach dazugehörte. Doch es waren Momente, in denen selbst der schlechteste Sex zu einem spannenden Erlebnis wurde. Weil er außerhalb jeder Realität und Normen stattfand. Weil er zwar dazugehörte, sich jedoch stets verboten und verrucht anfühlte. Weil ich in diesen Nächten eine Rolle spielen konnte, die ich mir außerhalb dieser Nächte nie erlaubt hätte.

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Genau.

schreibt Bernard

Ach, das wär's.

Gedichte auf den Leib geschrieben