Doch auch in diesen Momenten – während ich fremde Hände auf meiner Haut spürte, das raue Flüstern an meinem Ohr – habe ich mich manchmal dabei ertappt, innerlich zu kichern. Wie leicht man sich in diesen Rollen verliert und wie sehr es mich reizte, genau das durchschauen zu können. Es war ein Spiel, und ich spielte es gerne – selbst dann, wenn ich wusste, dass ich damit in Windeseile zum Klischee wurde. Aber ich wusste einfach immer, dass ich eine einmalige Chance hatte. Ich hatte die Chance, DIE Assistentin zu sein. Ein Charakter, den man sonst nur aus Filmen kennt. Und ich ergriff diese Chance nicht nur, ich spielte meine Rolle mit Perfektion und Leidenschaft. Weil ich den Moment in vollen Zügen auskosten wollte. Weil ich wusste, dass er einmal vorbei sein würde und ich dann nicht bereuen wollte, etwas verpasst zu haben.
Doch dann gab es diesen einen Tag – den einen Fall, der so gar nicht ins übliche Muster passte. Am Morgen saß er plötzlich im Empfangsbereich, zwischen all den akkurat gestutzten Bärten und Seidenkrawatten: der Künstler. Nichts an ihm passte hierher – weder sein Anzug von der Stange noch seine verloren wirkende Art. Er hatte Hände, die noch nie eine Maniküre gesehen hatten, aber an denen noch ein wenig Farbe klebte. Doch besonders auffällig an ihm war seine Art, sich im Wartezimmer unsichtbar zu machen. Seine Augen suchten keinen Blickkontakt, sondern verweilten auf den feinen Rissen im Parkett.
Der Künstler hatte auch nicht wirklich etwas verbrochen. Er hatte nur keine Ahnung von Copyright gehabt. Dementsprechend war seine Akte dünn und der Schiedstermin war ein unspektakuläres Schauspiel: Niemand war wirklich hart zu ihm, das ganze Streitverfahren endete in einem langweiligen Vergleich. Ja, es war so rasch abgehandelt, dass es noch gar nicht Abend war und man die sonst so üblichen Drinks ausließ – wohl auch, da zu keinem Zeitpunkt eine Spannung in der Luft gelegen hätte, die sich nun hätte entladen können.
Aber während die anderen sich längst wieder ihren E-Mails zuwandten, blieb ich einen Moment länger, streifte im Vorbeigehen seine Jacke – und schob jede professionelle Distanz beiseite. Er wirkte so verloren zwischen Paragraphen und Paragraphenreiterei, dass ich ohne Nachdenken das Gespräch mit ihm suchte, erst vorsichtig, dann direkter, bis ich ihn auf ein Glas Wein am Abend einlud. In einer Bar, in welche keiner der Anwälte je einen Fuß gesetzt hätte.
Nach Feierabend
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Nach Feierabend
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Genau.
schreibt Bernard