Ich hatte aber nicht erwartet, dass ich mich so früh einfach alt fühlen würde. Du bist nicht alt, versuchte K. mich aufzumuntern. Ich bin eine Frau in den besten Jahren, ich weiß, ergänzte ich seinen hilflosen Trost. Ich habe keine Angst, allein zu sein. Noch kann ich mich über mangelndes Interesse seitens der Männerwelt nicht beklagen. Aber so wenig mich das früher belastete, so frei und ungebunden zu leben, so wenig wünsche ich es mir zurück. Fragend blickte ich K. in die Augen. Er überlegte eine Weile und gab dann zu: ich kenne das. Und? fragte ich, verstehst du es? Kannst du damit umgehen?
K. lehnte sich zurück in seinen Sessel. Die unbeschreibliche Lust meiner Frau, die uns über Jahre hinweg eine leidenschaftliche erotische Beziehung in blindem Verstehen und ohne jegliche verklemmte Begrenzung geschenkt hatte, ist in einem langen dauernden, schmerzlichen Prozess geschwunden, hat sich zurückgezogen aus der Mitte unseres Lebens in eine gemütliche Nische, aus der sie gelegentlich hineintritt in unseren Alltag, auf Bewährtes setzt und keine Reise mehr sucht in einst glückselig eroberte unbekannte Gefilde. Ihre Lust ist heute eine Lust, die einen angenehmen Teil unseres Lebens darstellt, aber kein Feuer mehr entfacht und nicht mehr Kräfte gleich Urgewalten freisetzt. Anders als in allen anderen Lebensbereichen kann ich mir ihr über diesen Verlust niemals unbeschwert sprechen. Jeder Streit hierüber hat ungeahnte Aggressionen geweckt und ich bin ratlos, wann und wie ich sie derart verletzt haben könnte, dass es so weit kommen musste. Doch auch sie kann mir darauf keine Antwort geben. Die Krise der Lebensmitte ist ihre einzige Erklärung, dass jedoch keine Hilfe zur Bewältigung. Erotik als bewusste Entscheidung ist meiner Liebsten ebenso fremd wie sich durch das männliche Begehren geehrt oder gar beflügelt zu fühlen. Daher bestimmt der spontane und unvorhersehbare Auftritt ihres Verlangens den Rhythmus unserer gemeinsam erlebten Lust. Damit zu Recht zu kommen ist allein mein Problem, denn sie ist zufrieden mit unserem Leben. Suche ich das Gespräch hierüber, fällt mir nur die Rolle als Friedensstörer zu. Schweige ich bedrückt, ist sie genauso getroffen, wie wenn ich alles auf den Tisch lege.
Nacht im Hotel
Tinas Geschichte - Teil 17
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