Nacht im Hotel

Tinas Geschichte - Teil 17

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Nacht im Hotel

Nacht im Hotel

Stayhungry

Kommst du noch mit? fragte ich K. und hielt ihm die teure Flasche Bordeaux unter die Nase, die ich gerade an der Hotelbar gekauft hatte. Er zuckte zusammen, aber nach kurzem Ringen nickte er verkniffen. Siehst du, geht doch! lachte ich in mich hinein. Nach vielen Jahren ohne jeglichen Kontakt hatte uns der Beruf einander unerwartet wieder gegenübergestellt. Wir befanden uns zwei Autostunden von zu Hause im hintersten Winkel meines Gerichtsbezirks. Morgen würden wir unseren letzten Verhandlungstermin absolvieren und dann wieder heimkehren zu unseren Familien. Den Abend hatten wir mit den anderen weit her gereisten Beteiligten verbracht, so dass im Restaurant nicht viel Gelegenheit für einen persönlichen Austausch gewesen war.

Bis zum Ende der Abendgesellschaft hatte ich mir keine Müdigkeit anmerken lassen. Dezentes Make-Up, eine kunstvoll verschlungene, eher konservative Frisur, aktuell in blond, teurer, unaufdringlich-extravaganter Schmuck und ein Kostüm, die unvermeidliche Berufsuniform, die mir schon vor langer Zeit meinen Spitznamen in K.s Laden verliehen hatte, fügten sich wie eh und je zum Bild einer harten Verhandlungspartnerin mit festen Grundsätzen, verbindlichem Ton und unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Ich achtete mit ernstem Interesse an allen Parteien und Beteiligten darauf, den Anschein von Arroganz gar nicht aufkommen zu lassen. Aber ich forderte Respekt ein und gab gleichermaßen die charmante Gesprächspartnerin, die, ohne sich anzubiedern, schnell Sympathien wecken konnte. Ja, ich wusste, ich hatte Charisma, mehr noch als damals. K. war beeindruckt.

Jetzt aber sank ich müde aufs Bett, streckte nur noch die Glieder von mir. Ich war geschafft von diesem Tag, den ich seit neun Uhr Vormittag hatte managen müssen. K.s Frage, ob ich nicht doch gleich schlafen wolle, verneinte ich energisch und war mit einem schwungvollen Satz wieder auf den Beinen. Ich will nur schnell duschen! Nicht weglaufen! ermahnte ich ihn lachend. Noch im Zimmer öffnete ich mein Haar, zog die eng geschnittene Kostümjacke aus. Meine Brüste spannten die Bluse, die Brustwarzen traten sichtbar hervor, ich war erregt. Meine Augen trafen die seinen und mein ernster Blick fand in vertrauter Weise seinen Weg tief in ihn. Wir hielten inne, regungslos, und einen Moment lang verriet nichts dem Anderen die eigenen Gedanken und Gefühle. Doch dann spielte die Andeutung eines Lächelns in seinen Mundwinkeln, Zeichen der Verbindung des Jetzigen mit der Erinnerung an Vergangenes, gemeinsam Erlebtes.

Mein Rock sank zu Boden. K. grinste wissend. Nein, ich würde niemals Strumpfhosen tragen, auch in so einem kalten Winter wie diesem nicht! Meine schwarzen Strümpfe waren an den spitzenbesetzten Rändern von Strumpfhaltern getragen, wie meine fallende Bluse nun offenbarte, zu einem Korsett gehörig. Dieses bestand an den Brüsten nur aus einem mäßig grobmaschigen, durchsichtigen Netz, das formte, aber nicht verbarg. Es wies unter meinem derart betonten Busen eine gewisse vertikale Stützstruktur, jedoch keinerlei neckische Verzierung auf, hob im Übrigen nur hervor, übertrug aber nichts der Phantasie als Aufgabe. Zusammen mit dem zugehörigen, knapp geschnittenen Höschen, das schon meinen stark signalisierend wirkenden, lang gezogenen, schmalen Haarstreifen auf meinem Venushügel erkennen ließ, formte sich mein Darunter zu einem perfekten Ensemble. K.s weit aufgerissene Augen sprachen Bände. Sein Atem auch. Ich war durch und durch entspannt, fühlte mich glänzend. Und K.? Der war wie gelähmt, schluckte mehrmals, unfähig zu einer eigenen Regung.

Er liebte es, den Akt mit der Dame in dieser Couture zu erleben. Er war kein Fetischist, nicht limitiert auf einzig allein dieses. Aber der Reiz in Eleganz erregte ihn um ein Vielfaches, symbolisiert er doch so vieles: Vorbereitung, Vorfreude, sinnlichen Genuss vor dem Genuss, Freude am Gedanken, Freude zu bereiten, bewusstes Geschenk an Stelle simpler Ergebenheit gegenüber dem Trieb. Doch mein Auftritt galt nicht vorrangig ihm, dass wusste er, und gerade das machte es ihm leicht, den Anblick zu auszukosten. Mein mild gestimmter Blick ließ ihn wissen, dass ich seine zwiespältigen Gefühle kannte. Seine Verehrung allein war mir schon Genugtuung und Kompliment. Ich brauchte für den Augenblick kein schnelles Spiel mit dem Feuer. Es reichte, dass ich ihn hindern konnte, sich mir zu entziehen. Es würde eine lange Nacht werden, da war ich mir sicher.

Ich zog meinen Slip aus, dabei bückte ich mich und ließ ihn meine rasierte Spalte und meinen Anus sehe, meine Liebeslöcher, die er so geliebt hatte. Ich setzte mich aufs Bett, schubste die Pumps in die Ecke, rollte ohne Hast die Strümpfe ab. Unspektakulär gewann er wieder und wieder Einblicke in meine verborgene Schönheit, die ich scheinbar oder tatsächlich beiläufig gewährte. Ich legte das Korsett ab und zeigte ihm, dass meine Figur auch ohne Stütze äußerst attraktiv war, denn ich trieb immer noch so ausgiebig Sport wie damals. Meine Dessous waren nur modisches Accessoire, Verbeugung vor meiner natürlichen Schönheit. So sah ich das unbescheiden und von K.s Blick als uneingeschränkt wahr bestätigt.

Nackt schritt ich zum Bad, bewusst reizvoll in meinen Bewegungen, aber nicht mehr mit jeder Faser meines Körpers auf Wirkung bedacht. K. stand auf und folgte mir, lehnte sich an den Türrahmen. Ich setzte mich auf die Toilette und achtete darauf, ihm mit gespreizten Beinen seine sehnsüchtig erhofften Einblicke zu gewähren. Es hatte ihn schon damals unglaublich geil gemacht, mir beim Pinkeln zuzusehen. Bei mir musste er sich seiner etwas abseitigen Neigung nicht schämen. Ich mag es, wenn du mir dabei zusiehst, sagte ich ernst, als ich mich erhob. K. zog die Augenbrauen hoch und sah mich stumm an. Einen Dank dieser Art hatte er von seiner Frau wohl noch nie ausgesprochen bekommen. Mit wenigen, einfachen Worten hatte ich ihn vom unverschämten Voyeur zum Respekt erweisenden Kavalier geadelt. Ich wusste, wie ich ihn kriege. Lässt deine Frau dich zusehen? fragte ich betont beiläufig. Nicht mehr, seufzte K. leise, verließ das Badezimmer, öffnete den Wein und schenkte ihn in die Gläser, damit er atmen konnte und wartete. Im Notebook liefen die Lieder, die er mir vor langer Zeit mal zusammengestellt hatte, schöne Liebeslieder mit starken Gefühlen, fernab kitschiger Schmonzetten. Ich stieg in die Dusche und ließ das heiße Wasser lange laufen, um den Kopf frei zu kriegen. Wofür? So richtig klar war ich mir noch nicht.

Warum ich es gerade K. so schwer machte, wo ich doch von einigen im Restaurant fast unverhohlen angebaggert worden war? Und wenn nicht einer von denen, so hätte sich spätestens in der Bar sicher einer gefunden. Aber ich hatte keine Lust auf einen vordergründig attraktiven Typen, von dem ich nicht wusste, ob ich ihn nach dem Minutenglück nicht sofort wieder loswerden wollte. Ich brachte nicht einfach Sex, auch wenn mein verdammter Göttergatte sich die Frechheit erlaubte, nur noch mäßig scharf zu sein auf mich – auf mich, die ich ständig angelechzt wurde, schüchtern, offen, charmant und plump! Nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte! Eine Hinrichtung unsensibler Charaktere im Vorbeigehen machte mir immer Spaß. Ich brauchte etwas anderes, ich brauchte den Blick eines Mannes, wie ich ihn von meinem Mann so schmerzlich vermisste! Diesen Blick, der immer eine ganze Geschichte beinhaltet, Vergangenheit und Zukunft, der die ganze Person erfasst und kennt! Diesen Blick konnte ich jetzt nur finden bei einem, der auch mal mein Mann gewesen war! Einem, der, so unterschiedlich unsere Lebenswege verlaufen waren, immer noch tief in meine Seele dringen konnte! Einem, der immer fühlte, was ich fühlte, meine Erregung, meinen Schmerz, meine Kälte, mein Feuer! Deshalb traf es K. und er wusste genau, dass es ernst wird in dieser Nacht. Ein wir-sind-nur-Freunde konnte bei uns wesensgemäß nicht gelten.

Gehüllt in den Bademantel des Hotels, die Haare nur kurz mit dem Handtuch getrocknet, hatte ich mich auf das Bett fallen lassen. Ich weiß, ich kann ein Biest sein. Fies hatte ich versucht, K.s Standhaftigkeit zu untergraben, um mir seine Standfestigkeit für eine lustvolle Nacht anzueignen. Aber anders als beim letzten Mal im Büro, war er nicht so willenlos gefangen. War er gar nicht zu knacken? Ich ließ mich zurücksinken auf das Bett, gestützt auf meine Ellbogen, öffnete meine Schenkel ganz weit. K. blickte mit großen Augen auf mein Paradies und begann, tiefer zu atmen, seine Wangen röteten sich. Es tut mir gut, wie du mich ansiehst, gab ich ernst und ein wenig traurig meine überlegene Fassade auf.

Sieht dein Mann dich nicht mehr so an? fragte K. Nein, antwortete ich resigniert. Ein Häufchen Elend war ich und nicht das souveräne, lüsterne Biest, als das ich mich so gern gab. So habe ich dich noch nie erlebt, kommentierte K. mitfühlend. Als wir uns vor ein paar Monaten nach so langer Zeit wieder getroffen hatten, hattest du mir vorrangig die extreme Beziehung mit dem Mann geschildert, für den du mich verlassen hattest. Deine Ehe und die Schwierigkeit von Leidenschaft in langjährigen Beziehungen waren da außen vor geblieben. Deine frivole Provokation in ihrem Arbeitszimmer hatte mich die leisen Zwischentöne bezüglich deiner Lage als vernachlässigte Ehefrau nicht wahrnehmen lassen. Zumindest hatte ich nicht wirklich begriffen, dass das tiefer lag, wahrscheinlich, weil ich nur dieses Bild der überlegenen Frau kenne, die nichts ernsthaft erschüttert. Ich weiß, erwiderte ich genervt, so, wie ich dich damals abserviert habe, ist Bedauern nicht das naheliegendste. Lass gut sein, lächelte er. Das ist gegessen. Er hatte keinen Groll und fühlte mit mir. Das erste Mal hatte ich das Gefühl, wir befinden uns auf Augenhöhe.
Gemerkt habe ich es schon länger, erläuterte ich, aber ich wollte dem Ganzen nicht zu viel Bedeutung beimessen. Und zu der Zeit, als wir beide uns das letzte Mal getroffen hatten, war ich noch mehr verärgert, als dass ich erkannt hätte, wie nachhaltig die Veränderungen sind. Über so lange Zeit war alles so einfach gewesen. Und jetzt weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Er sagt auch nichts dazu, was weiterhilft. Wenn die Leidenschaft des anderen schwindet, empfindest du es wie Verrat, und du meinst fast, alles in der Vergangenheit war Lüge, zumal, wenn dein Geliebter behauptet, es hätte sich nichts verändert. Von Nibelungentreue halte ich gar nichts. Wenn es Zeit ist, die Dinge neu zu ordnen, muss man den Mut dazu haben. Am Ende ist es meist für alle Beteiligten eine Erlösung. Aber uns hat, wie viele Paare, die lange zusammen sind, mehr verbunden als die Hitze des Augenblicks. Ein Blick in seine Augen hatte die Dimension von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, die Zärtlichkeit war alle Zärtlichkeit, ebenso die Leidenschaft, der Moment der Gemeinsamkeit war das ganze Leben und der Ort unseres Zusammenseins die Welt. Wie kann das enden?

Noch dazu bei einer Frau wie du es bist, bestätigte K. ohne Spott mein angekratztes Selbstwertgefühl. Es ist nicht mein verletzter Stolz, erwiderte ich matt, es ist die Bestürzung darüber, dass die Heimat, die wir gefunden hatten, keinen Bestand mehr haben soll. Mit ihm wollte ich alt werden, das war das erste Mal, dass ich für einen Mann so etwas empfand. Ich hatte aber nicht erwartet, dass ich mich so früh einfach alt fühlen würde. Du bist nicht alt, versuchte K. mich aufzumuntern. Ich bin eine Frau in den besten Jahren, ich weiß, ergänzte ich seinen hilflosen Trost. Ich habe keine Angst, allein zu sein. Noch kann ich mich über mangelndes Interesse seitens der Männerwelt nicht beklagen. Aber so wenig mich das früher belastete, so frei und ungebunden zu leben, so wenig wünsche ich es mir zurück. Fragend blickte ich K. in die Augen. Er überlegte eine Weile und gab dann zu: ich kenne das. Und? fragte ich, verstehst du es? Kannst du damit umgehen?

K. lehnte sich zurück in seinen Sessel. Die unbeschreibliche Lust meiner Frau, die uns über Jahre hinweg eine leidenschaftliche erotische Beziehung in blindem Verstehen und ohne jegliche verklemmte Begrenzung geschenkt hatte, ist in einem langen dauernden, schmerzlichen Prozess geschwunden, hat sich zurückgezogen aus der Mitte unseres Lebens in eine gemütliche Nische, aus der sie gelegentlich hineintritt in unseren Alltag, auf Bewährtes setzt und keine Reise mehr sucht in einst glückselig eroberte unbekannte Gefilde. Ihre Lust ist heute eine Lust, die einen angenehmen Teil unseres Lebens darstellt, aber kein Feuer mehr entfacht und nicht mehr Kräfte gleich Urgewalten freisetzt. Anders als in allen anderen Lebensbereichen kann ich mir ihr über diesen Verlust niemals unbeschwert sprechen. Jeder Streit hierüber hat ungeahnte Aggressionen geweckt und ich bin ratlos, wann und wie ich sie derart verletzt haben könnte, dass es so weit kommen musste. Doch auch sie kann mir darauf keine Antwort geben. Die Krise der Lebensmitte ist ihre einzige Erklärung, dass jedoch keine Hilfe zur Bewältigung. Erotik als bewusste Entscheidung ist meiner Liebsten ebenso fremd wie sich durch das männliche Begehren geehrt oder gar beflügelt zu fühlen. Daher bestimmt der spontane und unvorhersehbare Auftritt ihres Verlangens den Rhythmus unserer gemeinsam erlebten Lust. Damit zu Recht zu kommen ist allein mein Problem, denn sie ist zufrieden mit unserem Leben. Suche ich das Gespräch hierüber, fällt mir nur die Rolle als Friedensstörer zu. Schweige ich bedrückt, ist sie genauso getroffen, wie wenn ich alles auf den Tisch lege.

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