Nacht in der Brandung

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Nacht in der Brandung

Nacht in der Brandung

Frank W. Arburg

Frank erfuhr nie, wer Christinas verstohlener Liebhaber war.
Er war sich nicht sicher, ob ihn Christinas Hand geweckt hatte, die nun sanft auf seiner Wange lag. Frank öffnete die Augen. Schemenhaft konnte er in der Dunkelheit ihr Gesicht erkennen, nur wenige Zentimeter entfernt. Er genoss die zarte Berührung und blieb ruhig liegen. So, als wolle sie ihm noch einmal eine gute Nacht wünschen, näherte sich ihr Mund und berührte seine Lippen, flüchtig, hauchzart, kaum wahrnehmbar.
An ihrem unregelmäßigen Atem fiel es ihm zuerst auf. Wenn Christina schlief oder sich im Zustand des Einschlafens befand, war ihr Atem gleichmäßig und flach, kaum wahrnehmbar. Doch nun schlug er ihm warm und unregelmäßig entgegen.
Frank versuchte vergeblich festzustellen, ob Christinas Augen geöffnet waren. Nur vage konnte er ihren geöffneten Mund erkennen und trotz des Rauschens der nahen Brandung war ihr leises Seufzen zu hören. In seinem Gesicht spürte Frank die Wärme ihres Atems, der zusehends heftiger wurde. Wieder näherte sich ihr Mund, und sie begann seine Lippen mit weicher Zunge zu liebkosen. Christina bewegte vorsichtig ihren Körper und verursachte ein geräuschvolles Schwanken der Luftmatratze. Aber da war noch eine zweite Bewegung, die nicht von Christina stammte. Frank konnte nichts erkennen. Dennoch war er sich des fremden Geräusches sicher, das einen entfernteren Ursprung hatte und das ihn irritierte.
Hinter Christina!
Es bestand kein Zweifel. Jemand befand sich hinter Christina, geschützt durch die Dunkelheit. Nachdem die Vermutung geboren war, wurde sie unversehens zur Gewissheit: Georg!
Frank versuchte abrupt sich zu erheben. Doch Christinas Hand drückte seinen Kopf sanft zurück. Es war so, als habe sie seine Überraschung vorausgesehen, seinen Protest erwartet und er glaubte nun, dass ihre Hand, mit der sie seine Wange streichelte, bereits vorsorglich in seiner Nähe war. Christina beruhigte ihn, als besänftige sie ein Kind. Sie legte einen Finger zwischen ihrer beider Lippen, zum Zeichen dafür, dass er still sein solle.
Trotz der Dunkelheit waren nun ihre weit geöffneten Augen zu erkennen, die ihn fragend ansahen, so, als erwarte sie eine stumme Antwort. Ja, abwartend und fragend war ihr Blick und besänftigend.
Frank hatte in dem Moment, in dem ihm die Situation bewusst geworden war, instinktiv die Atmung unterbrochen, für einige Sekunden die Luft angehalten. Und nun, da er wieder atmete, begann er bereits, Christinas Besänftigung zu akzeptieren. Christina nahm den Finger von seinen Lippen und küsste ihn, während sie ihre Hand langsam von der Wange zu seinem Hals gleiten ließ.
„Christina...", Frank versuchte etwas zu sagen und obwohl er es äußerst leise tat, kaum hörbar, legte Christina sofort wieder den Finger auf seine Lippen und ließ ein leises „Schhhhh..." vernehmen, nicht lauter, als ihr Atem.
Es bestand kein Zweifel: Christina gestattete einem heimlichen Liebhaber Zärtlichkeiten.
Frank war verwirrt und versuchte das Chaos seiner Gedanken zu ordnen. Christina hing an seinen Lippen und ließ ihn ihre Erregung spüren. Ihr Atem ging heftiger. In unregelmäßigen Abständen presste sie ihre Lippen fest auf die seinen, um sich sogleich wieder zu lösen und das Spiel alleine ihrer Zunge zu überlassen.
War es Georg? Seine ungelenken Flirtversuche hatte Christina ins Leere laufen lassen. Wie immer. Aber Frank hatte nicht alles mitbekommen. Und es war viel getrunken worden während der Strandfete.
Frank versuchte sich vorzustellen, was Christinas heimlicher Liebhaber in diesem Augenblick tat. Es gelang ihm nicht, seine Gedanken zu ordnen, die in Bruchstücke zerfielen und sich jedweder Ordnung widersetzten, wie Mosaiksteinchen, die zu unterschiedlichen Bildern gehören. Eines dieser Puzzles fragte ganz pragmatisch, wie Georg - war es Georg? - in Christinas Lage überhaupt sein Ziel erreichte. Sie lag auf der linken Seite. Umfasste seine Hand ihre Hüfte, um von vorne unter den Slip zu gelangen? Oder suchte er seinen Weg von hinten, zwischen ihren Beinen hindurch. Das wäre nur möglich, wenn ihm Christina entgegen käme und sein Bemühen unterstützte, indem sie das rechte Bein anhob oder nach vorne anwinkelte.
Tat sie das? Diese Frage gewann augenblicklich größte Bedeutung, sie blähte sich auf, wie ein Ballon, der alles andere verdrängte: Unterstützte Christina das heimliche Bemühen? War ihre Erregung bereits so groß, dass sie der fremden Hand den Zugang erleichterte? Vergeblich versuchte Frank, aus der Intensität ihrer Küsse und aus der Unregelmäßigkeit ihres Atems Rückschlüsse zu ziehen.
Dann schoss ein anderes Puzzle an die Oberfläche, ein anderes Mosaiksteinchen schwirrender Gedanken und schalt ihn einen Narren. Für einen Augenblick war ihm danach, über sich selbst zu lachen. Weshalb hatte ihn Christina geweckt, wenn sie das heimliche Spiel duldete oder gar förderte? Lag Christina nicht ihm, Frank, zugewandt, auf der linken Seite? Hätte sie es nicht vorgezogen, ihn schlafen zu lassen, und sich ihrem Liebhaber mit Gesicht und Körper zuzuwenden, wenn der Verdacht begründet gewesen wäre?
Doch Christinas Knie unter der Decke, das platzsuchend an Franks Bein stieß, ihr Stöhnen, ihr heißer Atem und ihre nach Zärtlichkeit suchenden Lippen gestatteten keine Zweifel und erneuerten Franks Gewissheit darüber, was im Schutze der Dunkelheit geschah. Vielleicht hatte sie sich des Slips bereits entledigt und dem Drängen längst nachgegeben?
Wieder verwarf er den Gedanken. Christina und der Unbekannte waren nicht alleine. Sie mussten befürchten entdeckt zu werden. Die Luftmatratze, die zwar prall gefüllt war und so eine gewisse Stabilität bot, war letzten Endes doch ein schwankender Untergrund, der jede Bewegung verriet.
Andererseits, vor wem sollte das heimliche Treiben noch verborgen werden? Christina hatte ihn bereits in ihr Liebesspiel einbezogen.
Christina stöhnte leise. Mit jedem Ausatmen entfuhr ihren Lippen ein gedämpfter Laut, der ihre Erregung verriet. Sie hielt die Augen geschlossen und begann erneut mit dem Spiel ihrer Zunge. Frank nahm kleine Bewegungen wahr, die sie mit ihrem Körper ausführte. Sie hing an seinen Lippen und teilte ihm ihre hilflose Lust mit, die auch ihn längst erfasst hatte. Er liebte Christina für diese Hilflosigkeit, die ihm vertraut war, mit der sie sich ihrer Lust auslieferte und erschrak bei dem Gedanken, dass er es auch in diesem Augenblick so empfand.
Christinas Hand verließ seine Wange und wanderte unter die Decke. Ihre Aufmerksamkeit gehörte nun dem anderen, dessen war Frank gewiss und er empfand Eifersucht. Er beneidete Christinas Liebhaber um die Hand, die ihn soeben verlassen hatte, er beneidete den in der Dunkelheit verborgenen Rivalen um die Zärtlichkeit, die nun diesem zuteil wurde.
Die Unruhe in Christinas Körper nahm zu. Sie versuchte näher an Frank heranzurücken und stützte sich in seiner unmittelbaren Nähe mit dem Ellenbogen auf der Matratze ab, um die Hüfte anzuheben. Die Schwimmbewegungen der Luftmatratze verrieten, was geschah und was als nächstes geschehen würde. Christina entledigte sich ihres Slips. Sie hielt den Atem an, unterbrach für einige Augenblicke den Kuss und suchte mit langsamen Bewegungen eine geeignete Lage. Die Ruhe und Bedächtigkeit, mit der dies vonstatten ging, stand in bizarrem Widerspruch zu Christinas aufgewühlter Erregung.
Ihr Atem stockte. Ihre Zunge unterbrach das Liebesspiel. Sie schloss die Augen. Dann entlud sich Christinas angespannte Konzentration im ersten Stoß, dessen Kraft ihren ganzen Körper durchdrang und heißen Atem aus ihr presste. Ihre Lippen drängten Frank entgegen, um sich sogleich wieder zu lösen denn ihr Mund benötigte Freiheit zum Atmen. Nur die Zungenspitze ließ sie ihm, die wie ein zielloser Schmetterling zwischen seinen Lippen umherflatterte. Die ruckartigen Bewegungen ihres Körpers wiederholten sich und verfielen in einen gleichmäßigen Rhythmus.
Frank hatte es unterlassen, mit seiner freien Hand nach Christinas Körper zu tasten, denn er wollte es vermeiden, den Händen ihres Liebhabers zu begegnen. Doch nun ließ er seine Hand von ihrer Wange langsam am Hals entlang nach unten gleiten, um Christinas Brust zu suchen. Als sie seine Absicht erkannte, drängte sie ihn jedoch eilig zurück. Sie ergriff seinen Arm und führte ihn mit sanftem Druck aus der Reichweite des anderen. Weshalb wollte Christina die Begegnung ihrer Hände vermeiden? Waren sie nicht längst beide Komplizen ihrer Wollust? Glaubte sie, die überraschende Entdeckung von Franks Gegenwart hätte Georg erschrecken und zum Rückzug veranlassen können? Frank war inzwischen überzeugt, dass es Georg war. Glaubte sie wirklich, irgend eine Kraft hätte es vermocht, Georgs animalische Gier kurz vor der Erfüllung zu bändigen?
Oder wollte sie nur ihn, Frank, zum Komplizen?
Es bestand kein Zweifel! Sie wollte seine Teilhabe vor dem anderen verbergen. Nur das ergab einen Sinn. Die Fragmente seiner Gedanken bekamen wieder Struktur. Die Puzzles fügten sich wieder zu einem Bild. Christina wollte ihre Lust mit ihm teilen, wie sie ihre Liebe mit ihm teilte. Georg mochte sich im Paradies wähnen, der wirkliche Zutritt blieb ihm aber verwehrt.
In Franks Kopf kehrte die vertraute Ordnung zurück. Er genoss Christinas Verlangen, ihre Hingabe an die Lust und erwiderte ihre Küsse, liebkoste ihre Lippen, die ihm geöffnet zugewandt waren, wie der Schnabel eines hungrigen Kükens. Die rhythmischen Bewegungen wurden schneller und trieben Christinas sinnlichen Rausch dem Höhepunkt zu. Sie stöhnte bei jedem Stoß, der ihren Körper durchfuhr und sie gab, vermischt mit jedem Ausatmen kleine, hilflose Laute von sich.
Sie presste seinen Arm, den sie mit ihrer Hand umfasst hielt, hob den Kopf und verharrte einige Sekunden gleichsam schwerelos schwebend. Dann sanken ihre Lippen zitternd zu Frank zurück. Ihr Stöhnen verebbte im anschwellenden Rauschen der nahen Brandung und ihr Atem wurde ruhig.
Als die Morgendämmerung anbrach, war der Platz hinter Christina leer.

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