Nackt im Antiquariat

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Nackt im Antiquariat

Nackt im Antiquariat

Anita Isiris

„Wie meinen Sie das?“
„Ich dachte nur … wem verkaufen Sie Ihre Bücher?“
„Dem Heiligen Geist“, antwortete Herr Meylan trocken und starrte betrübt auf den Holztisch vor sich. Die junge Frau hatte er bereits lieb gewonnen, aber seine persönlichen Finanzen gingen sie nichts an, klar.
„Wissen Sie, Herr Meylan, ich habe da eine Idee. Ich möchte Ihnen klaren Wein einschenken.“
„Ja?“ Neugierig hob der Alte den Kopf.
„Mein Geld als Studentin habe ich bislang als Stripperin verdient – an der Langstrasse. Zudem inseriere ich gelegentlich im Tagesanzeiger. Auf dieser berüchtigten Doppelseite, wissen Sie. Nathalie … verwöhnt auch Sie.“ Herr Meylan verschluckte sich an seinem Tee dermaßen, dass er blau anlief. Geistesgegenwärtig klopfte Nathalie ihm auf den Rücken. „Geht’s?“
„Ich hätte Ihnen so was einfach nicht zugetraut!“, sagte er. „Andererseits … gehen wir doch mal diese vielen Schriftsteller durch! Die verhaltene Erotik eines Erich Kästner („Fabian“), die Obszönitäten des Pier Paolo Pasolini, die tiefe sexuelle Frustration eines Sigmund Freud, der Frauen nichts, aber auch gar nichts gönnte …“
Nathalies Augen begannen zu leuchten. „Genau! Sigmund Freud ist doch ein …“.

Da legte Herr Meylan seine Hand auf die von Nathalie. Sie entzog sich ihm nicht.
„Ich überlege mir ganz einfach“, lächelte sie, „wie es wäre, wenn ich die Arbeit, die ich in Ihrem Antiquariat verrichte, nackt erledigen würde. Was denken Sie, wie rasch sich Ihr Geschäft mit Männern füllen wird? Sie werden mich beobachten, wenn ich auf die Leiter klettere, sie werden mich in den hintersten Winkel begleiten, dorthin, wo Pasolini steht, natürlich nicht ohne ausgiebig auf meinen Hintern zu schauen … was denken Sie dazu, Herr Meylan?“
Der Alte war plötzlich verwirrt. War die Frau verrückt geworden? Oder hatte er etwas verpasst?

Waren Nacktverkäuferinnen heutzutage an der Tagesordnung? In der Migros jedenfalls hatte er noch nie eine gesehen.
„Wir können’s ja versuchen“, willigte er ein. „Ist Ihnen aber dabei nicht zu kalt?“

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