Und all diese Menschen, zumeist Männer … war wohl keiner von denen fremdgegangen in kleinen schummrigen Bars? Hatte keiner von ihnen kleinen Mädchen beim Baden zugeschaut? Hatte keiner von ihnen mit verschränkten Armen beobachtet, wie seine Frau von geilen Eingeborenen gestoßen wurde, wieder und wieder? Hatte keiner von ihnen einer Frau eine Kerze in den Arsch gesteckt, sie angezündet und so Weihnachten gefeiert? Hatte keiner von ihnen … bereits vor dem Frühstück eine Erektion gehabt, steife Nippel gelutscht oder einer tief religiösen Inderin unter den Sari gegriffen? Allmählich – bei solchen Gedanken – kam Nathalie sich ganz harmlos vor. Was war denn schon dran an ihren hervortretenden Hüftknochen, dem hellen Schamhaar, das überdies vom Slip bedeckt wurde, dem funkelnden Piercing und den nackten Brüsten? Sie trat hinter den Ladentisch und ordnete die Blumen. Einige Passanten gingen vorbei und meditierten über den Preis einer Sammlung von Kants Werken. Ein kleiner Junge zeigte auf ‘Lederstrumpf’ und dann auf sie! Das Schaufenster gab also den Blick frei hinter die Theke, obwohl es überstellt war. Ein kleiner Junge hatte sie gesehen. Dann klingelte die Ladentür, und der Vater des Buben trat ein.
„Guten Tag! Ich hätte gerne den Lederstrumpf im Schaufenster. Für meinen Sohn“, fügte er erklärend hinzu. Mit einem Mal fühlte Nathalie sich nackter als sie tatsächlich war. Es blieb ihr ja keine Wahl, als hinter der schützenden Theke hervorzutreten, sich ins Schaufenster zu beugen … und dem Kunden das Gewünschte zu verkaufen. Wenn’s schon mal was zu verkaufen gab! Zögernd ging sie auf den Kunden zu. Das war eben schon was anderes als die Drehbühne an der Langstraße, wo die Männer wegen nichts anderem kamen, als um Frauenkörper zu begutachten. Aber hier … verlegen bedeckte sie ihre Scham, obwohl sie ihren Slip noch anhatte. Sie lächelte dem Mann zu, beugte sich ins Schaufenster und klaubte den verstaubten ‘Lederstrumpf’ hervor.
„Ganz schön mutig, so Bücher zu verkaufen.“ Der Lederstrumpf-Käufer grinste breit, ließ sich sonst nicht viel anmerken und zückte die Brieftasche. Wo der alte Meylan wohl steckte?
Nackt im Antiquariat
42 10-17 Minuten 0 Kommentare

Nackt im Antiquariat
Zugriffe gesamt: 4430
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.