„Wir fragen einfach mal!“, entschied Susanne kurz entschlossen und steuerte auf den Eingang des schicken Geschäftes zu. Innen war eine kleine Bühne aufgebaut, drum herum ein paar Scheinwerfer und mehrere Stuhlreihen. Auch eine große, teilweise schon bemalte Leinwand stand bereit. An einigen Stehtischen hatten sich die ersten Gäste versammelt und wurden vom Verkäuferteam mit Prosecco und Häppchen versorgt. Und dann entdeckte Susanne auch die Künstlerin. Sie war gerade im Gespräch mit einem elegant gekleideten Mann und sah angespannt aus. Stritten die zwei etwa?
„Entschuldigen Sie die Störung … ich wollte nur fragen, ob es noch freie Plätze für die Veranstaltung gibt?“ Der Mann drehte sich zu ihr herum. Er war offensichtlich stinksauer und musste sich sichtlich anstrengen, die Form zu wahren. „Es tut mir leid, aber es wird leider keine Veranstaltung geben, das Model ist nicht erschienen, die Performance muss ausfallen.“ Die Künstlerin schaltete sich ein : „Mein Fotograf ist mit dem Model im Verkehr stecken geblieben, aber keine Sorge - ich werde natürlich auch so meine Werke präsentieren und das begonnene Werk fertig stellen.“ Mit dieser Aussage hatte Tascha, die Aktionskünstlerin, nicht einmal die Unwahrheit gesagt. Tatsächlich hatte sie am Vormittag ihren Fotografen, der gleichzeitig ihr Manager und Lebensgefährte war, mit ihrem jungen Model im Gästeappartement der Villa erwischt. Wutentbrannt, aber unbemerkt von den beiden hatte sie das Appartement und die Villa leise verlassen, nicht ohne beim Hinausgehen die Panikfunktion der Alarmanlage zu aktivieren. Ihr Lebensgefährte hatte sein Haus nämlich mit dem allerletzten Schrei an Smarthome-Technik ausrüsten lassen. Dazu gehörte auch eine Notverriegelung für die oberste Etage. Hier würde sich ohne die dazu gehörende Fernbedienung keine Tür und kein Fenster mehr öffnen lassen. Und die Fernbedienung befand sich in Taschas Handtasche. So gesehen, waren die beiden also tatsächlich im „Verkehr stecken geblieben“ , aber das durfte ihr Auftraggeber natürlich auf gar keinen Fall erfahren, sonst würde eine heftige Vertragsstrafe fällig.
Der Mann, offensichtlich der Inhaber des Geschäftes, hatte inzwischen kurz nachgedacht und eine Entscheidung getroffen: „Das ist nicht das, was wir miteinander vereinbart haben. Ich werde meinen Kunden keine halben Sachen präsentieren! Das entspricht nicht unserem Niveau! Unter diesen Umständen sage ich lieber ab. Sie werden allerdings Schadenersatz leisten müssen.“
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.