Als auf Facebook unter «Stories» Julias Kurzvideo aufpoppte, staunte Herr Elmar Bauklötze. Seit Jahren hatte er den Kontakt zu Julia, seiner ehemaligen Schulkollegin mit den schulterlangen rotblonden Locken, verloren – und sie dann auf Facebook wiedergefunden. Die beiden hatten sich virtuell angefreundet, ohne bisher direkt miteinander gechattet zu haben.
Nun hatte er sie vor sich, hochauflösend, mit hochgestecktem Haar, scheu lächelnd… und mit nacktem Oberkörper. Herrn Elmar war sofort bewusst, dass da etwas nicht stimmen konnte. Es gab doch weltweit diese Facebook-Zensoren, die bedrohliche weibliche Brüste augenblicklich ins digitale Nirvana verbannten – noch bevor sie die gierigen Augen – geschweige denn die Basalganglien – der hungrigen Internet-Tittensuchmänner erreicht hatten.
Julias Brüste. Und sie wisperte ein paar leise Worte, den Blick auf ihre Kamera gerichtet. Herr Elmar betrachtete das Video nochmals von Anfang an. Nicht wegen Julias Brüsten, klar, sondern, um ihre Botschaft mitzubekommen. «Das hier ist nur ein Test», waren ihre Worte. Damit war für Herrn Elmar alles geklärt. Julia bereitete eine Facebook-Story vor und hatte grad mal eben ihre Kamera ausprobiert – ohne sich bewusst zu sein, dass ihr die Welt dabei zusehen konnte. Sie war also ahnungslos. Das verlieh Herrn Elmar den ultimativen Kick. Er wusste, dass «Video-Stories» auf Facebook eine Halbwertszeit von 24 Stunden hatten. Dann würde das Video weg sein. Verschwunden im Nichts. Downloaden konnte man es nicht – wohl aus urheberrechtlichen Gründen. Facebook war unterdessen zu einer seriösen Plattform geworden, was Datenschutz anging. Alles in den Händen der Benutzer – es sei denn, sie waren intelligent genug. Julias Intelligenz war nicht in Frage zu stellen. Sie war stets die Klassenprima gewesen. Still, bescheiden, mit von der Sonne erleuchtetem rotblondem Haar, in der vordersten Reihe sitzend. Aber sie war wohl einfach einen Moment lang unvorsichtig gewesen. Nun kannte jeder, der wollte, ihren nackten Oberkörper. Auch das war an sich kein Problem. Bei den Millionen von Frauenbildern im Internet würde Julia vermutlich sehr rasch in der Gesamtmenge verschwinden.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.