Nadines Pelzchen

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Nadines Pelzchen

Nadines Pelzchen

Anita Isiris

Nadine arbeitete als Betreuerin in einer Kindertagesstätte – einer der härtesten Jobs, die man sich vorstellen kann. Die blutjunge 21jährige trug auf ihren zarten Schulten die Last einer immer fordernder werdenden Gesellschaft. Es ging nicht nur um Kinder, die sich weder die Schuhe binden noch anständig essen können, sondern auch um Ansprüche der Eltern, was die Zwischenmahlzeiten und das Mittagessen betraf – zwischen vegetarisch, vegan und sogar makrobiotisch. Am Abend prasselte es dann Vorwürfe, weil  die Nase des kleinen Jan, der am Morgen noch Schnupfen hatte, am Abend, als seine Mama ihn abholte, noch immer lief. Oder es ging um ein paar Erdresten, die am einen oder anderen Schuh klebten, nachdem Nadine mit den Kindern eine Stunde lang draußen gewesen war, um ihnen den Wald näher zu bringen. Denn für Nadine war klar: Jedes zusätzliche Jahr, in dem Kinder von Bildschirmen ferngehalten werden konnten, war ein Gewinn für den gesamten Lebensrest. So verging die Zeit, und Nadine näherte sich ihrem 22. Geburtstag. Dann erschien eines Tages Herr Hirter, der Großvater der kleinen Lina. Linas Mama hatte Nadine am Morgen vorinformiert, dass ihre Tochter am Abend von deren Grossvater abgeholt würde. Dennoch verlangte Nadine einen Identitätsausweis, denn heutzutage weiß man ja nie. Tatsächlich war im Nachbardorf ein paar Jahre zuvor ein Kind entführt worden, von einem Unbekannten, der sich als Vater ausgegeben hatte. Die Betreuerin hatte nach diesem Vorfall nie mehr Fuß in ihrem Beruf fassen können, den sie doch so liebte. Zu schwer war die Last, zu drückend die Vorwürfe, die sie sich machte.

Aber der freundliche Herr Hirter konnte sich problemlos als Linas Großpapa ausweisen, und das Kind stürzte freudig auf ihn zu. In den folgenden Wochen kam Herr Hirter häufiger vorbei, und es stellte sich heraus, dass sich Linas Mama von ihrem Partner, einem Marokkaner, getrennt hatte und nun deutlich länger arbeiten musste, um Miete, Versicherungen und Lebenshaltungskosten begleichen zu können.

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Wow

schreibt grauhaariger

Liebe Anita, Du hast das Kennenlernen und die Annäherung bis zu den intimsten Berührungen so subtil, so detailliert und plastisch beschrieben! Alles war plausibel! Und dann geschah etwas, was für ihn der schönste Tod sein muss, aber für sie der grösste Albtraum ist, den niemand erleben möchte. Ich denke, so kann das Leben sein. Du hast mich berührt mit deiner Geschichte...

Senf-Pfannkuchen

schreibt HansG

Die Geschichte ist wie ein Pfannkuchen, der mit Senf statt Marmelade gefüllt ist. Schade drum.

Gedichte auf den Leib geschrieben