Abgesehen von den paar Sommersprossen um Sannas Nase konnte man die Zwillinge kaum unterscheiden. Wie Tausende von Zwillingen machten auch sie sich, selbst noch kurz vor dem Abi, einen Jux daraus, dass sie sich exakt gleich kleideten. Haarspange hier, Spaghettiträger-Top da. Standen sich die beiden gegenüber, wirkten sie wie Spiegelbilder. Selbst die Mutter, Florissa, konnte ihre Töchter – abgesehen von den genannten Sommersprossen – nicht auseinander halten.
Einmal, mitten im Sommer, liess Sanna ihren BH weg. Nachlässigkeit? Absicht? War das ein Gucken in der Schule. Der Lateinlehrer verschluckte die Relativpronomina. Der Geografielehrer verwechselte Chicago und Bilbao. Der Biologiepauker redete von Orgasmus statt von Organismus – ohne es zu merken! Sanna hatte sehr schwere Brüste. Ihre Nippel waren eigentliche Lollies. Das lag in der Familie. Auch Mama Florissa hatte dieselben Titten wie ihre Töchter – und Papa war ein wahrer Busenfetischist gewesen – bevor ihn ein Herzinfarkt dahingerafft hatte, während er zwischen Florissas Brüsten abrieb. „Er hat einen Sterntod erlitten“, sagte Florissa an der Beerdigung unter Tränen. Unter „Sterntod“ verstand sie ein Dahinscheiden während dem Orgasmus, das Schönste, das einem Mann wohl widerfahren kann. Davon ahnte die Trauergemeinde aber nichts. Alle dachten einfach, Florissa wollte den Tod ihres geliebten Gatten in Poesie kleiden.
Was nun den Latein-, den Gegrafie- und den Biologielehrer derart fasziniert hatte, war, dass da ein und dieselbe Frau vor ihnen sass, im modischen Kurzrock – einmal mit und einmal ohne BH. So liessen sich faszinierende Vergleiche anstellen, die Fantasie köchelte, und die Anspannung wurde durch die unterschwellige Erotik noch gesteigert. Man ahnte, aber wusste nicht. Man wollte, aber durfte nicht. Man guckte, aber sah nicht.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.