Nur gegen Bezahlung

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Nur gegen Bezahlung

Nur gegen Bezahlung

Yupag Chinasky

„Nur gegen Bezahlung“, antwortete sie auf die Frage, ob er ein paar Fotos von ihr machen dürfe, blieb aber mit dem quengelnden Kind im Sportwagen vor ihm stehen. Er war lange durch die Stadt gelaufen, die Augen offen, den Fotoapparat schussbereit, auf der rastlosen Suche nach interessanten Motiven und Eindrücken. Müde geworden, gönnte er sich eine Pause, nur ein paar Minuten auf einer Bank an einem Spielplatz. Der Platz war erstaunlicherweise fast leer an diesem schönen, sonnigen Spätnachmittag. Ein einziges Kind werkelte im Sandkasten, vermutlich ein kleiner Junge, nach der Heftigkeit seiner Bewegungen zu urteilen, jedenfalls ein Kind, das noch einen Kinderwagen brauchte. Dieser, ein altes, völlig aus der Mode gekommenes Modell, stand schräg gegenüber, auf der anderen Seit des Spielplatzes. Auf der Bank daneben saß eine junge Frau, rauchte, blätterte in einer Illustrierten und rief ab und zu dem Kind ein paar Worte zu. Vermutlich handelte es sich um seine Mutter, dem Aussehen nach hätte sie aber auch die große Schwester sein können.

Aus den paar Minuten war bereits eine halbe Stunde geworden und er verspürte ein leichtes Hungergefühl. Aus seinem hellbraunen Lederrucksack mit der auffälligen Aufschrift „titanic-bag“, holte er einen Marsriegel, biss sorgfältig Stückchen für Stückchen ab und entsorgte das Papier in dem verschmutzen, grauen Papierkorb neben der Bank, auf dem eine auffallender gelber Aufkleber prangte: "Gleiches Recht für alle – gegen die Diskriminierung von Frauen". Es war nicht das spielende Kind, das ihn die Zeit vergessen ließ, nein, es war die junge Frau auf der Parkbank, die seine Blicke anzog. Sie war schlank, grazil und trug enge Jeans mit aufgestickten bunten Applikationen und eine chice, bordeauxrote Bluse. An mehreren Fingern ihrer schlanken Hände trug sie billig aussehende Ringe. Am anziehendsten und auffälligsten waren jedoch ihre üppigen, dunklen Haarlocken und ihr Gesicht, das er trotz der Entfernung deutlich betrachten konnte. Obwohl, nein, weil dieses Gesicht nicht besonders hübsch war, faszinierte es ihn. Ein ausdrucksstarkes Gesicht von herber Schönheit, die sich nicht gleich beim ersten Anblick erschloss. Ein Gesicht, das ihn an einen Filmstar aus seiner Jugend erinnerte, dessen Name ihm jedoch nicht einfiel. Jedenfalls war es keines dieser öden Beautygesichter, die auf der Titelseite mancher Illustrierten prangten, keine zu Tode geschminkte Maske eines Douglasfilialengirls. Er fand es äußerst fotogen und je länger er es betrachtete, desto mehr wünschte er, eine Fotoserie von der jungen Frau zu machen. Doch als er sich endlich aufraffte und das Teleobjektiv aus dem Rucksack kramte, stand sie auf, trat an den Rand des Sandkastens und rief dem Kind zu „Komm, Schatz, wir müssen jetzt gehen“. Aber das Kind wollte nicht, es wollte sein Kuchenbacken, sein Schaufeln und Sieben nicht abbrechen. Trotzig blieb es im Sand sitzen und als die Mutter ihre Aufforderung mehrfach bekräftigte und dabei immer lauter wurde, fing es an zu plärren. Schließlich stapfte sie unwirsch durch den Sand, hob das schreiende, strampelnde, um sich schlagende Wesen hoch, trug es zum Kinderwagen und setzte es mit Schwung auf den Sitz, so wie man einen schweren Sack abwirft. Sie war sichtlich genervt und schimpfte. „Wir gehen, basta. Hör sofort auf zu schreien, sonst kommst du gleich ins Bett. Kapiert?“ Die Drohung wirkte, das Geheul ging in ein unregelmäßiges Schluchzen und Schniefen über. Die Frau beruhigte sich, aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihre Stimmung auf den Nullpunkt abgesackt und die Gelegenheit für einige nette Foto wohl dahin. Doch als sie mit dem Kinderwagen auf seine Bank zukam, stand er zu seinem eigenen Erstaunen auf, lächelte sie an, hob die Kamera etwas in die Höhe und fragte, ob er ein Bild machen dürfe. Die Frau blickte ihn perplex an. Ihre Augen verfinsterten sich und eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Man konnte ihre Gedanken förmlich an diesem Gesichtsausdruck ablesen: „Dieser Spinner will doch nicht gerade jetzt, bei dem Stress mit dem Balg, ein Bild von mir machen“? Ihre Antwort war kurz und brüsk: „nur gegen Bezahlung“. dennoch blieb sie mit dem Kinderwagen direkt vor ihm stehen. Er zuckte mit den Schultern, ließ den Fotoapparat wieder sinken, murmelte „dann eben nicht“ und „ich bezahle nie für Fotos“ und bückte sich, um seinen Rucksack von der Bank aufzuheben und seine Stadtwanderung fortzusetzen. Im selben Moment bückte sich auch die junge Frau, weil sie bemerkte, wie das Kind die sandverkrustete Plastikschaufel mit Behagen ableckte. Sie schimpfte wieder, riss die Schaufel empört aus den Händen des verdutzten Kindes und löste dadurch einen neuen Schreianfall aus. Und auch bei ihm löste ihr tiefes Hinabbücken etwas aus: er war wie elektrisiert, denn er konnte gar nicht anders, als direkt und aus kurzer Distanz in ihre aufgeknöpften Bluse zu schauen, auf ihre wohlgeformten Brüste, auf zwei feste, volle, sinnliche Halbkugeln in einem lila Hauch von BH. Und er folgte zum zweiten Mal einer spontanen Eingebung und fragte „Wie viel wollen Sie denn?“

Sie posierte, anfangs etwas lustlos auf einer Bank sitzend, dann schon mit mehr Interesse dekorativ versteckt hinter den Blättern und Zweigen der Büsche, die den Spielplatz umgaben. Er machte einige romantisch verschwommene Bilder und sagte ihr, sie solle sich an den Stamm eines der großen Bäume lehnen. Das war die letzte Anweisung, die er ihr geben musste, denn mit jeder neuen Einstellung wuchs ihre Begeisterung und sie machte eigene Vorschläge und setzte sie spontan um. Schon die Art, sich an den Baumstamm zu lehnen, ihn zu umarmen, sich wie die Schlange im Paradies zu räkeln, nein besser gesagt, ganz wie Eva, die nur das eine Ziel hat, Adam zu verführen, zeigte ihren Einfallsreichtum und ihre Freude an dem neuen Spiel des Fotomodells. Nach dem Baum balancierte sie waghalsig auf den maroden Balken der Wippe, kletterte auf den verdreckten Tischtennistisch und tanzte Hip-Hop, um sich dann auf die blanke Aluminiumrinne der Kinderrutsche zu legen und in den Sand zu kullern. Die Kleine, es war doch ein Mädchen, sah dem Treiben ihrer Mutter höchst interessiert zu und rief „auch Sand spielen“. Als sie das Kind daraufhin aus dem Wagen hob und zurück in den Sandkasten trug, lachte es vor Freude laut auf und begann sofort Sand auf die Mutter zu werfen. Diese hob ihre Hände abwehrend hoch, drohte zum Spaß mit dem Zeigefinger und schubst das Kind so lange, bis es auf dem Rücken lag und mit den Beinen strampelte. Dann legte sie sich zu ihm in den Sand, kitzelte es unter den Armen und ließ Sand auf seinen Bauch rieseln. Die beiden tobten, alberten herum, gieksten und lieferten dem Fotografen eine Reihe hübscher Motive.

Die Aufnahmen der jungen Frau und ihres Kindes hatten ihm zunehmend Spaß gemacht, obwohl ein Spielplatz keine aufregende Kulisse und Mutter und Kind kein übermäßig anregendes Motiv sind. Er war deswegen begeistert, weil er schon nach kurzer Zeit gemerkt hatte, dass sein Modell ein großes Talent zum Posieren besaß und ausdrucksstark und variantenreich in die Kamera schaute, fast schon wie ein professionelles Modell, dachte er. Irgend wann war das Thema jedoch ausgereizt, alle Stellungen waren schon einmal eingenommen und festgehalten worden und es schien, dass auch ihre kreative Phase sich dem Ende näherte. Das machte jedoch nichts, denn er hatte die Bilder, die er wollte und war durchaus zufrieden. Er verstaute die Kamera in dem braunen Rucksack, zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche und gab der Frau den vereinbarten Geldschein. Auf ihre Bitte nach Abzügen, versprach er ihr einige zu schicken und notierte sich ihren Namen und ihre Adresse. Sie antwortete rasch und wegen des Herumtobens und Herumalberns immer noch etwas atemlos. Zum Abschied tätschelte er den Kopf des kleinen Mädchens, das nach all der Bespaßung jetzt vergnügt in seinem Wagen saß und streckte der Mutter die Hand hin. Doch diese zögerte sie zu ergreifen, druckste vielmehr herum und kam schließlich mit der Sprache heraus. „Wenn du willst“ – sie beide hatten ihre anfängliche Reserviertheiten rasch abgelegt und waren zum Du übergegangen, „wenn du willst und noch etwas drauflegst, können wir in meine Wohnung gehen. Dort sind wir ungestört und könnten“ sie zögerte erneut und schien zu überlegen, wie sie es ausdrücken sollte, „dort könnten wir andere, ich meine etwas freizügigere Bilder machen. Aber“, so fügte sie sofort hinzu, „du darfst das nicht falsch verstehen. Es geht nur um Bilder, sonst um nichts. Kapiert? Ich bin keine Nutte, ich schlafe mit niemandem für Geld. Ich will nur noch mehr gute Bilder von mir“.

Sie gingen in ihre kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock eines Wohnblocks ganz in der Nähe. Die Wohnküche war sehr einfach, fast schon schäbig eingerichtet und unaufgeräumt. Die Frau entschuldigte sich wegen der Enge, wegen der Kleider auf dem Stuhl, der Spielsachen auf dem Fußboden und der Essensreste auf dem Tisch. Sie setzte das Kind in einen Hochstuhl und wärmte ihm in einem Emailletopf auf einem schon fast historischen Elektroherd Milch auf. Als sie danach begann das Gröbste aufzuräumen, bat er darum, sich in der Wohnung umsehen zu dürfen. „Ich will mir ein Bild von der location machen“ - er benutzte im Zusammenhang mit Fotografieren gerne englische Worte wie location, shooting oder model – „um zu sehen wo und wie wir deine, wie hast du noch gesagt, etwas freizügigeren Aufnahmen machen können“. „Kein Problem, mach nur, ich koch uns noch schnell einen Kaffee.“ Sie schüttete Kaffeepulver in eine zerbeulte Espressokanne aus Aluminium und stellte sie auf die noch heiße Herdplatte. Er warf einen Blick in das kleine Bad und das überraschend geräumige Schlafzimmer. Hier fiel ihm ein brandneuer, großer Fernsehapparat auf, der auf einer Kommode stand und nicht so recht in die armselige Umgebung der Wohnung passen wollte. Dann saßen sie zu dritt am Küchentisch. Das kleine Mädchen hatte seine Milch ausgetrunken und spielte ruhig mit einer sehr hässlichen Puppe. Die junge Frau nahm die Espressokanne vom Herd, schenkte ein und während sie den vorzüglichen Kaffee tranken, redete und redete sie. Sie hatte offensichtlich nicht nur Vertrauen zu ihm gefasst sondern auch ein großes Bedürfnis, jemandem mitzuteilen, in welch misslicher Lage sie sich befand.

„Ich lebe allein mit dem Kind. Der Vater, der Arsch, hat uns verlassen. Noch vor der Geburt. Er wollte kein Kind, keine Familie, keine Verantwort, keine Kosten. Ich sollte abtreiben und als ich das nicht wollte, war er stinksauer. Er ist dann einfach verschwunden, von jetzt auf nachher, unauffindbar und zahlt natürlich auch keine Alimente.“ Ihre Stimme wurde schrill, sie war sichtlich erregt. Dass ein Mann, noch dazu der Vater ihres Kindes, sie einfach hatte sitzen lassen, nagte immer noch an ihr. Als sie merkte, dass er ihr aufmerksam zu hörte, obwohl er sich jeden Kommentars enthielt, wurde sie noch vertraulicher und breitete weitere intime Details vor ihm aus. „Jetzt habe ich einen anderen, aber der ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Genauso unzuverlässig wie mein Ex, ohne regelmäßige Arbeit, ohne gescheite Ausbildung. Ein Schluri, der nichts auf die Reihe bringt. Ich kapiere selbst nicht, warum ich mit dem noch zusammen bin, aber ganz allein zu sein, ist noch mehr Scheiße. Er will nicht zu mir ziehen, das Kind nervt ihn. Er wohnt weiter bei seiner Mutter, die in vergöttert. Zu mir kommt er nur, um zu bumsen und sich den Wanst voll zu schlagen.“ Ihre Stimme beruhigte sich wieder etwas, als sie zu dem Thema wechselte, das sie offenkundig am meisten bedrückte. „Dabei habe ich doch selbst nicht viel Geld. Nur das Kindergeld und das bisschen, was ich beim Kellnern verdiene. Mittwochs und sonntags arbeite ich als Bedienung im Paulaner Bräuhaus. Du kennst das doch? Ich schaffe von elf in der Früh bis Mitternacht. Das Gehalt ist mickrig. Ohne Trinkgeld würde sich das nie lohnen. Zum Glück bekomme ich ganz ordentlich Trinkgeld, aber nur von den Männern“ sie lachte „die Frauen geben nichts, sie sind eifersüchtig, weil ihre Männer so auf mich abfahren. Wenn ich auf Arbeit bin, lasse ich die Kleine über Nacht bei der Oma. Ich könnte ja auch ganz zu meiner Mama ziehen, das wäre billiger, ich könnte die Miete hier sparen, aber das will ich auf keinen Fall. Die will immer so viel wissen, fragt mich ständig aus und will mir vorschreiben, was ich tun soll. Meine Freiheit gebe ich nie mehr auf, nie mehr.“ Zur Bekräftigung schlug sie mit der flachen Hand laut auf die Tischplatte. Die Kleine in ihrem Hochstuhl fuhr erschrocken auf. Sie strich ihr beruhigend über die Haare und trank einen Schluck Kaffee. Dann lamentierte sie über die hohen Preise „obwohl ich immer nur zu Aldi gehe“, die teure Miete „eigentlich ist die Sozialwohnung nicht teuer, aber die Nebenkosten, Strom, Müllabfuhr, all der Scheiß“, stöhnte über die Schwierigkeiten, an chice Kleidung zu kommen, „wenn man anständig aussehen will, brauche man auch anständige Klamotten“ und "ich kaufe nur in Second-Hand-Shops und auf dem Flohmarkt, da findet man auch tolle Sachen" sowie über das Geld, das sie für Schönheitspflege ausgab „einmal in der Woche kommt eine Bekannte, eine gelernte Friseuse, die macht es schwarz, will aber auch Geld und wenn ich meine Haare mal eine Woche nicht machen lasse, sehe ich grauenvoll aus.“ Ihr Resümee: „Ich kann doch nicht in Sack und Asche herumlaufen. Wer guckt mich dann noch an?“ Schließlich endete sie resigniert mit der Klage, dass sie sich nichts leisten könne und wegen dem Kind immer zu hause bleiben müsse und nirgends hin könne, bloß in den Park und auf den Spielplatz, immer nur Spielplatz und Park, und das jeden Tag, immer dasselbe. Die einzige Abwechslung sei die Glotze und deswegen habe sie sich auch ein neues Gerät gekauft, obwohl sie sich eigentlich nicht leisten könne. Doch heute sei ein guter Tag. Sein Auftauchen und der Wunsch, sie zu fotografieren, sei eine hochwillkommene Abwechslung in dem langweiligen Alltag und das Schönste sei, dass sie dafür sogar noch Geld bekam.

Sie lachte und schien endlich ihren Frust abgeladen zu haben. Der Kaffee war ausgetrunken und sie kündigte an, sich jetzt für die Aufnahmen schminken zu wollen. Sie kramte aus ihrer Handtasche einen Kamm, Lippenstift und einige Döschen und Tuben hervor und ging in das winzige Bad. Mit lauter Stimme rief sie „Weißt, du, so richtig schön fotografiert werden, so richtig schöne große tolle Starbilder von mir, das habe ich schon immer gewollt. Aber leider hat das noch nie geklappt, ich hab noch nie jemand getroffen, der das fer Umme gemacht hätte und Geld für Studioaufnahmen habe ich keins. Ich wäre liebend gern Fotomodell, das war schon immer mein Traum, weißt du, schon als Kind. Ich schau mir alle Castingshows im Fernsehen an. Einmal bei Germany’s next Topmodel aufzutreten, das wäre was.“ Sie kam wieder in die Küche und er begutachtete ihr Werk: den dezenten Lidschatten, das tiefschwarze Kajal, das frische Rouge auf den Wangen. Sie besaß sichtlich Übung und Geschmack. Nur beim Lippenstift wunderte er sich, fand das Ergebnis aber ganz gut. Sie hatte ihre etwas zu schmalen Lippen betont auffällig mit blutroter Farbe nachgezogen. Das gab ihr ein laszives, leicht ordinäres Aussehen und sie wirkte noch eine Spur vulgärer. Er hoffte, dass sie nun mit ihrer Vorbereitung fertig war und sie mit dem Fotografieren beginnen könnten, aber seine Geduld wurde noch einmal auf Probe gestellt. Sie setzte sich noch einmal an den Tisch, weil sie unbedingt noch etwas los werden musste: „Weißt du, was mein zweiter Traumberuf wäre? Schauspielerin! Früher habe ich jedes Jahr in der Kirchengemeinde bei den Passionsspielen mitgemacht und die Maria Magdalena gespielt, du weißt schon, das war die, die den Jesus verführen wollte. Ich war gut und die Leute haben bei mir viel geklatscht. Der arme Jesus war total verwirrt, so hab ich mich an den ran gemacht. Der Pfarrer“ sie musste bei der Erinnerung kichern“, der Pfarrer hat mich immer bremsen müssen, damit der Jesus nicht zuviel sündige Gedanken bekommt, hat er gesagt.“ Sie schwieg bei der Erinnerung an ihre schauspielerischen Erfolge einen Moment lang und blickte versonnen in eine ungewisse Ferne, bevor sie die Unterhaltung mit einem Bekenntnis beendete. „Von dir habe ich einen guten Eindruck. Ich kenn mich aus mit Männern, glaub mir. Du bist ein ehrlicher Typ und außerdem machst du tolle Bilder, echt tolle Bilder.“ Toll war eines ihrer Lieblingsworte. Sie verwendete es häufig. „Du willst nicht nur meinen Arsch und meine Titten knipsen.“ Sie stand auf, schien aber noch angestrengt nachzudenken. „Wenn du willst", sie rang mit sich, "wenn du willst, kannst du auch Aktfotos von mir machen, ich völlig nackt, kein Problem, das kostet aber mehr“. Er wollte.

Endlich begannen sie mit den Aufnahmen. Allerdings brauchten sie auch in der neuen Umgebung einige Zeit, um sich einzuarbeiten. Die ersten Bilder waren stereotype, konventionelle Totalen. Sie saß auf einem Stuhl, stand am Fenster, kauerte auf dem Fußboden. Die enge, ziemlich dunkle Wohnung war kein guter Ort zum Fotografieren. Er bedauerte mehrfach lautstark, dass zu wenig Raum vorhanden sei, zu wenig Platz, um ein „model“ auch nur halbwegs gut in Szene zu setzten. Auch mit dem Licht, dieser bescheuerten Mischung aus Tageslicht und Deckenlampe, wie er ihr erklärte, war er nicht zufrieden. Er musste öfter als er wollte den Blitz einsetzen, obwohl die Gefahr groß war, dass dessen hartes Licht alles totschlug. Aber mit der Zeit fand er gerade diese beschränkte Situation recht interessant. Er hatte nämlich begonnen, das obskure Objekt seiner Begierde hautnah aufzunehmen, im wahrsten Sinne des Wortes. Er sezierte es mit der Kamera und arbeitete Details mikroskopisch heraus: die beringten Hände, die Füße mit dünnen Kettchen in den abgetragenen Sandalen, die helle, nackte Haut zwischen Jeans und Bluse, den tiefen Ausschnitt zwischen den hochgewölbten Brüsten in dem lila BH. Am meisten angetan war er jedoch wieder von ihrem Gesicht, das ihn bereits im Freien am meisten inspiriert hatte: von den hohen Backenknochen, der etwas zu großen Nase, dem breiten Mund mit den tadellosen Zähnen, dem wirren Lockenberg und den Augen, diesen schwarzen Gazellenaugen, die ihn einmal ganz unschuldig, dann vulgär, als nächstes verträumt und schließlich sogar voller Verachtung anblickten. Er war begeistert und sagte ihr mehrfach, wie faszinierend ihr Gesicht und vor allem ihre Augen seien.

Doch bei aller Faszination hatte er irgend wann alles aufgenommen, was es auf diese Weise aufzunehmen gab und nun wollte er endlich zu den avisierten Nacktaufnahmen kommen. Sie machte jedoch von sich aus keine Anstalten, ihre Kleider abzulegen und so fragte er schließlich „Was ist denn jetzt mit den freizügigen Aufnahmen?“ Sie zögerte und schien ein wenig Angst vor der eigenen Courage zu haben. „Du bist nicht der erste Mann, vor dem ich mich ausziehe, aber fotografiert hat mich noch keiner dabei“, scherzte sie und legte dann doch ihre Kleider langsam und theatralisch ab: erst schlüpfte sie aus den Sandalen, dann knöpfte sie die Bluse auf und streifte sie über die Schultern, danach zippte sie langsam, Millimeter für Millimeter den Reissverschluss der paillettenbesetzten Jeans auf und zerrte diese, etwas anstrengender als es notwendig gewesen wäre, über die Hüften, zog sie über Oberschenkel, Kniee, Unterschenkel bis zu den Füßen. Dann richtete sie sich wieder auf und stand jetzt nur noch in BH und Tangeslip vor ihm. Verführerisch lächelnd wiegte sie sich in den Hüften, streckte die Brust vor und kam langsam zum Höhepunkt ihres stilechten Stripteas. Sie dreht ihm den Rücken zu, streifte erst den einen Träger, dann den anderen auf den Oberarm. Drehte sich ihm wieder halb zu, holte erst die eine, dann die andere Brust aus den engen Körbchen, dreht den Verschluss des BH auf die Brust, nestelte an den Häkchen, entledigte sich dieses Kleidungsstücks mit einem unerwarteten Schwung und warf es direkt auf das Objektiv des verdutzen Fotografen. Beide lachten laut über diese gelungene Überraschung und sie konnte, vor lauter Lachen, den letzten Teil ihrer Darbietung, das Abstreifen des Tangaslips, gar nicht mehr so aufreizend vornehmen, wie sie es wohl gewollt hatte. Das rosa Ding landete mehr oder weniger unspektakulär auf ihren Füssen und wurde mit einem Tritt in eine Zimmerecke befördert. Er hatte sie, während sie sich auszog ständig umrundet und den Prozess des Entblätterns im Detail festgehalten. Dabei war es ihm zunehmend schwer gefallen, sich auf das Fotografieren zu konzentrieren, denn auch für ihn war die Arbeit mit einer nackten und zudem noch so sinnlichen Frau eine seltene, ungewöhnliche Situation. Mit jeder Aktion ihrerseits - er war fasziniert, wie gekonnt und aufreizend sie sich ihrer Kleider entledigt hatte – mit jedem Kleidungsstück, das auf den Boden glitt, wuchs seine sexuelle Erregung. Jedes zusätzliche Stück freie Haut, das sichtbar wurde, steigerte sein Begehren, das bereits bei ihrem ersten Anblick aufgekeimt und seitdem latent vorhanden war. Aber er hatte sich beherrscht und beherrschte sich weiterhin. Er konzentrierte sich auf die Bedienung der Kamera, auf die richtige Blende, die optimale Tiefenschärfe, auf den Einfall des Lichts und die beste Bildkomposition. Obwohl sein „model“ ihn auch als Frau durchaus an- und aufregte, zwang er sich, in ihr nur ein Fotomotiv zu sehen, nur ein Objekt, das er unter schwierigen Bedingungen so gut wie möglich aufnehmen wollte.
Dieses Objekt wurde im Verlauf der nun folgenden Nacktaufnahmen immer sicherer, erfand neue Positionen und setzte sich perfekt und mit starker erotischer Ausstrahlung in Szene. Sie beugte sich über den Küchentisch und streckte ihm ihren Hintern entgegen, setzte sich auf den Rand des Spülbeckens, den Oberkörper weit nach hinten gebeugt, auf den Brüsten balancierten zwei Eierbecher als BH. Sie hockte sich mit Knie hohen Schaftstiefeln in die leere Duschkabine und legte sich schließlich, nur noch ein winziger Schritt trennte sie von der Pornografie, mit gespreizten Beinen auf das Bett und betastete mit den Händen lasziv ihren Körper. Doch selbst in diesen spannungsreichen, heiklen Situationen wirkte er nach außen cool und beherrscht. Er ging mit der Kamera wieder ganz dicht an sein Objekt heran. Statt der Augen waren es nun die Brustwarzen, statt der Hände die Pobacken und statt der Lockenpracht ihres Haupthaars, die krause Wildnis ihres Venusdreiecks, die formatfüllend im Sucher erschienen. Wie schon zuvor bei den ersten Aufnahmen, achtete er auch bei den Nacktaufnahmen darauf, dass die schäbige Umgebung des „Studios“ immer in genau der richtigen Dosis präsent war, dass das Modell und das Milieu eine authentische Einheit bildeten. Weil er wegen der Lichtverhältnisse mit sehr weit geöffneter Blende fotografieren musste, konnte er raffiniert mit der Tiefenschärfe spielen, und die unschönen Schatten und Lichter der „bescheuerten Lichtsituation“ setzte er bewusst als ungewöhnliches Stilelement ein. Viele Aufnahmen waren unscharf, verwischt und verwackelt, aber er fand, dass sie gerade wegen dieser Unvollkommenheiten in der gegebenen Situation durchaus angebracht waren.

Als sie nach einer Weile intensiven Arbeitens eine Pause machten und er der jungen Frau die Bilder auf dem kleinen Monitor der Kamera zeigte, rief sie begeistert: „Mann, seh ich gut aus! Kommt meine Figur nicht prima raus? Und diese Großaufnahmen erst, Spitze!“ Ganz zufrieden war sie aber nicht. „Mein Busen, ist der nicht zu groß und mein Hintern viel zu flach?“ Auch er hätte mit der Ausbeute zufrieden sein können, war es aber nicht so recht. Denn trotz aller Besonderheiten, die diese Bilder auszeichneten, trotz der Aktivität und des Einfallsreichtums seines Modells, erschien ihm das Ergebnis reichlich konventionell. Nackte Frauen wurden schon Millionen Mal fotografiert und Aktbilder gab es zuhauf. Keine Pose, keine Stellung, keine Situation, keine Absonderlichkeit ist vorstellbar, die nicht schon irgendwann, irgendwo und von irgendwem festgehalten und veröffentlicht wurde. Was konnte man da noch anders machen? Womit konnte man noch jemanden beeindrucken? Eine gewisse Resignation breitete sich in ihm aus, gepaart mit Trauer, weil das Shooting sich anscheinend dem Ende näherte. Doch dann geschah etwas, etwas was die Situation veränderte, eigentlich nur eine belanglose Kleinigkeit, aber letztendlich eine mit nachhaltigen Folgen. Durch eine fahrige Bewegung, stieß er mit der Kamera an ihren Arm, als sie gerade dabei war, ihre Lippen nachzuschminken. Die Folge war ein blutroter Streifen, der sich vom Mundwinkel zum Kinn hinabzog. Sie wollte das Missgeschick korrigieren und mit einem Tempotaschentuch abwischen, doch er starrt sie fasziniert an und hielt ihre Hand fest. „Lass das, so wie es ist. Das sieht ja aus wie Blut, wie eine Verletzung. Da könnten wir doch was draus machen“. Er entwickelte einen neuen Plot, sie griff seine Idee begeistert auf, spann sie fort und dann entwickelte sich ein neues Spiel. Ein Spiel von Lust und Gewalt, das mit der verführerischen Anmache einer sexhungrigen Frau beginnen, mit aufkeimender Geilheit fortfahren, mit einer fatalen Vergewaltigung seinen Höhepunkt erreichen und mit Einsamkeit, Depression und Verzweiflung enden sollte. Ein Spiel, in dem nur das Opfer auf den Bildern festgehalten wurde, nicht jedoch der Täter.

Nachdem er zugesichert hatte, ihr zusätzlich Geld für eine neue Bluse und neue Unterwäsche zu geben, ging sie ins Schlafzimmer und kam mit abgetragenen Kleidern wieder. Die Bluse war irgend wann einmal blau gewesen, nun aber verwaschen und fleckig. Die Jeans waren abgeschabt und wiesen an mehreren Stellen große Löcher auf. Ein Träger des altmodischen BHs war geknotet und in einem Körbchen war die Naht ein Stück weit aufgeplatzt. Zur ers
en Einstellung setzte sie sich mit halb aufgeknöpfter Bluse auf den Küchenstuhl, ein Bein ausgestreckt, das andere auf den Sitz hochgezogen. Sie blickte mit großen Kleinmädchenaugen in die Kamera, schelmisch, verführerisch, neugierig, erwartungsfroh. In der nächste Szene stand sie breitbeinig in der geöffneten Schlafzimmertür, die Bluse fast ganz aufgeknöpft, den Busen, der aus dem zu engen BH quoll, vorgereckt. Die Augen waren nur noch schmale Schlitze, die Zunge leckte begehrlich die blutroten Lippen. Der Höhepunkt der Verführungspose war die dritte Szene. Sie lag ausgestreckt auf dem Bett, das Laken zerknüllt, die Bluse weit geöffnet, die Jeans halb ausgezogen, der rosa Slip bedeckte nur knapp ihr Schamdreieck. Sie hatte den Unterleib leicht hochgereckt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Augen waren geschlossen, der Mund leicht geöffnet, bereit für heiße Küsse. Sie lag da, in sehnsüchtiger Erwartung eines aufgegeilten Mannes, der sich gleich auf sie stürzen würde. Nachdem diese Aufnahmen gemacht waren, bereitete sie sich, von ihrem eigenen Tun atemlos und aufgewühlt, für den zweiten Teil des Dramas vor. Mit Schminke und Wasserfarben malte sie sich Kratzwunden auf Arme und Beine, blaue Flecken auf die Brüste und Blutspuren in das Gesicht. Sie zog die Jeans aus, zerriss dekorativ die Bluse und vergrößerte die aufgeplatzte Naht des BHs so weit, das eine Brust frei war. Sie verwandelte sich, überzeugend und glaubwürdig, von der geilen Verführerin in das misshandelte, gedemütigte Opfer. Ein Opfer, das wieder halbnackt auf dem Bett lag, jedoch nicht in verführerischer Pose sondern verletzt, verzweifelt, geschändet, halbtot. Dann kroch sie mit letzter Kraft über den Fußboden in die Küche und lehnte sich, heulend und schluchzend, an ein Bein des Küchentischs.

Nach diesen aufregenden Aufnahmen, zogen sie Bilanz. Es war für beide harte Arbeit gewesen, aber eine Arbeit, die sich gelohnt hatte. Sie waren mit dem Resultat sehr zufrieden. Für die junge Frau hatte sich ein Traum erfüllt, weil sie ihr schauspielerisches Talent voll ausreizen und mit ihrem Hang zum Posieren kombinieren konnte. Sie war von ihren Fähigkeiten selbst überrascht und hatte begeistert die Gelegenheit ausgenutzt, sich einmal voll auszuleben, einmal das vor einer Kamera zu tun, was man sich sonst zu tun nicht traut. Sie hatte sich in ihre Rolle hineingesteigert und immer delikatere Stellungen und immer gewagtere Positionen eingenommen. Sie war zu großer Klasse angestiegen. Und auch er hatte seine geheimen Wünsche endlich erfüllen können. Er hatte als objektiver Fotograf distanziert und scheinbar emotionslos, irritierende Szenen akribisch festgehalten, die sich vor seinen ungläubigen Augen abspielten. Kurz und gut, beide hatten diese selbst inszenierte Reality Show höchst spannend und dramatisch gefunden. Sie war so völlig anders als alles, was sie bisher gemacht hatten und manche bisher verborgene Talente, waren deutlich geworden: das Mädchen als unentdecktes Modell und verkannte Schauspielerin, der Fotograf als unterschätzter Künstler und Regisseur dramatischer Szenen. Selbst auf dem kleinen Monitor sah er, dass die Bilder gut, ja sehr gut, waren. Er hatte mit verschiedenen Techniken gearbeitet. Viele Bilder waren situationsbedingt unscharf, verwackelt und unterbelichtet. Sie glichen Bildern, die ein Voyeur zufällig geschossen hatte oder Bildern, die ein zynischer Verbrecher von seinem gedemütigten Opfer gemacht hatte, um es zusätzlich zu verhöhnen und seine Verzweiflung auch noch zu dokumentieren. Manche Bilder waren wiederum brutal scharf und überbelichtet, weil das Opfer direkt angeblitzt worden war, ohne jede Distanz und ohne Rücksichtnahme auf verletzte Gefühle. Es waren Bilder im Stil des legendären Polizeireporters Weegee der vierziger Jahre. Die Art, wie er diese Frau in ihrer Rolle fotografiert hatte, widersprach jedenfalls allen Regeln der klassischen Akt- und Porträtfotografie. Die Ergebnisse waren von den geleckten Aufnahmen der Hochglanzmagazine und der verlogenen Beautyfotografie der Werbung noch weiter entfernt als die vorausgegangenen Aufnahmen. Doch gerade deswegen würden sie als authentisch und realistisch erscheinen. Sie waren glaubwürdig, weil alles echt aussah, nicht nur die aufgemalten Blessuren, Flecken und Schrammen sondern auch die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck der „misshandelten“ Frau. Einer Frau, die in der armselige Umgebung, in der sie leben musste, auch noch vergewaltigt worden war. Wenn er diese Bilder veröffentlichen würde, er musste tief atmen, wenn die irgendwo erscheinen würden, dann hätte sich der Traum eines jeden Fotografen erfüllt, er wäre auf einen Schlag ein Star.

Das Rollenspiel und die intensive Erfahrung des nahezu Realen, hatte beide so fasziniert und beschäftigt, dass sie das kleine Mädchen in seinem Hochstuhl fast vergessen hatten. Es hatte erst still dagesessen und begeistert dem unverständlichen, aber anscheinend vergnüglichen Treiben der Erwachsenen zugeschaut und war dann eingeschlafen. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass es im Hochstuhl schlief. Doch nun war es aufgewacht, hatte Hunger und rief lautstark „Mama, Brot essen wollen“. Damit war der Zauberbann gebrochen und die seltsam angespannte, erotisierte Atmosphäre fort geweht. Doch alle drei waren nicht nur mit dem Geschehenen zufrieden, sondern geradezu glücklich. Das Glück der jungen Frau wurde nur ein wenig dadurch getrübt, dass sie nicht soviel Geld bekam, wie sie sich erhofft hatte. Aber er versicherte ihr, dass er nicht mehr dabei habe und zeigte ihr zum Beweis sein leeres Portemonnaie. Nach einigem Grummeln nahm sie das, was er ihr hinhielt. Als er nun schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag dem Kind zum Abschied über den Kopf strich, zögerte er einen Moment und war versucht, noch ein paar Aufnahmen von dem vernachlässigten, doch trotzdem freudig winkenden Mädchen zu machen. Aber es ging nicht mehr, alle Speicherkarten waren voll und auch der Reserveakku war leer. Im Treppenhaus reichte ihm die junge Frau nicht nur die Hand sondern umarmte ihn und drückte ihm sogar einen Kuss auf die Wange. „Danke für diesen Nachmittag, es war einer der schönsten und spannendsten in meinem ganzen Leben“ und, fügte sie hinzu „weißt du, was ich ganz prima fand? Dass du nicht versucht hast, mich anzumachen und mich zu begrabschen, dass du nur diese tollen Bilder gemacht hast“.

Auch er fand die Bilder „toll“, als er sie daheim am Computer bearbeitete. Es waren naturgemäß die letzten Bilder, die außergewöhnlich waren, spannungsreich und emotional, kurzum höchst anregend und geradezu gefährlich aufregend. Er würde es sich gut überlegen müssen, was er mit ihnen anfangen sollte, ja er fragte sich, ob er sie überhaupt veröffentlichen sollte. Sie waren so realistisch, dass ihm niemand abnehmen würde, dass die Situation nur gestellt und die Vergewaltigung gespielt sei. Er überlegte sich auch, ob er diese Bilder der jungen Frau überhaupt schicken sollte oder nicht lieber nur die schönen, harmlosen mit den Szenen auf dem Spielplatz und die, mit den Körperdetails aus der ersten Phase in der Wohnung. Doch dann fand er, dass sie als Modell ein Recht darauf hätte, alles zu sehen. Und es kam auch ein bisschen Eitelkeit ins Spiel. Er wollte ihr sein Können vorführen, ihr die Genialität des gemeinsamen Werkes zeigen, also legte er dem Brief auch einige der verfänglichen Bilder bei.
Er bekam keine Antwort, kein Danke schön, keine Bitte nach einem neuen Treffen, nach weiteren Aufnahmen, was er insgeheim gehofft hatte. Er war etwas enttäuscht, wusste aber auch, dass sich die Einmaligkeit dieser Begegnung nicht wiederholen ließ. So kam es, dass er das Ereignis zwar nicht vergaß, so etwas vergisst man nie, aber durch andere Aktivitäten weitgehend verdrängte. Von einer Veröffentlichung hatte er übrigens, nach intensivem Nachdenken, Abstand genommen. Doch Wochen später kam ein Brief. Es war ein billiger Umschlag, ohne Absender und darin war nur ein Bild, ein einziges, dafür aber eindeutiges Bild. Es zeigte die fast nackte junge Frau auf dem Fußboden der Küche sitzend, den Oberkörper gegen den Küchentisch gelehnt. Ihr BH war zerrissen, eine der Brüste frei, darauf zeichnete sich ein großer schwarz-blauer Fleck ab, den sie vergeblich mit einer Hand zu verdecken suchte. Mit der anderen zog sie krampfhaft ihren Slip nach oben, als ob sie dadurch verhindern könnte, dass ihre Blöße zur Schau gestellt wurde. Unter dem Slip sah man eine verschmierte rote Blutspur hervorkommen, die sich bis über den halben Oberschenkel hinabzog. Am eindringlichsten waren jedoch die ängstlichen, weit aufgerissenen Augen, die verzweifelt in die Kamera starrten. Doch der Anblick der verzweifelten Frau beunruhigte ihn nicht, er wusste ja, dass es nur gespielt, nur inszeniert war. Was ihn jedoch zutiefst entsetzte, war ein Gegenstand, der zwar etwas unscharf und undeutlich, aber doch eindeutig auf dem Bild zu sehen war. Neben dem Küchentisch lag ein brauner Rucksack mit der Aufschrift „titanic-bag“. Er hätte sich in den Hintern beißen können, dass ihm das nicht aufgefallen war, als er das Bild für sie ausgesucht hatte. Auf der Rückseite des Fotos stand in ungelenker, verstellter Kinderschrift: „Zahlen sie 1000 Euros sonst geh ich zur Polizei und zeig sie an. Stecken sie das Geld in einen Umschlag. Werfen sie diesen in den Papierkorb mit dem gelben Aufkleber auf dem Spielplatz neben der Bank da wo sie gesessen haben. Abgabe Mittwoch 7. Mai punkt elf Uhr in der Nacht. Anschließend verschwinden sie sofort. Warnung: keine Triks, keine Polizei.“ Heute war Dienstag.

Seine erste Reaktion war blanke Wut, die zweite nackte Angst. Es ärgerte ihn maßlos, dass dieses Luder erst abkassiert hatte und dann durch Erpressung noch mehr Geld eintreiben wollte. Dabei hatte er ihr doch das gegeben, wie sie gefordert hatte, ohne herumzuhandeln. Und sie hatten sich gut verstanden, hatten Spaß bei den Aufnahmen gehabt und alles war problemlos vonstatten gegangen. Sie hatte sich doch beim Abschied noch ausdrücklich bedankt, dass er sie in keiner Weise belästigt, angemacht oder gar angefasst hatte. Und jetzt war diese gemeine Tussi, diese Schlampe auf die Idee gekommen, ihn zu erpressen. Er würde natürlich nicht zahlen, tausend Euro waren auch für ihn viel Geld. Er wollte aber auch keinen Ärger, keine Polizei, keine Nachforschungen, keine Verhöre, keine Gegenüberstellung. Wer würde seinen Erklärungen Glauben schenken? Wer würde seine Version des Geschehens abnehmen, wenn diese angeblichen Beweise auf dem Tisch lagen? Zu all dem würde ihm seine Frau höchst unangenehme Fragen stellen und es wäre noch unangenehmer, wenn seine Bekannten, seine Freunde, die Arbeitskollegen oder gar sein Chef Wind von der Sache bekämen. Das Bild sprach nun mal für sich, da gab es nichts zu deuteln. Wie wollte er die gezeigte Situation widerlegen? Wie wollte er beweisen, dass die blauen Flecken und Kratzwunden nur aufgemalt waren? Selbst wenn die Verletzungen echt gewesen wären, mittlerweile wären sie verheilt und spurlos verschwunden und man könnte nicht mehr feststellen, dass sie nur fiktiv waren. Auch die Fotos, die sowohl eine glückliche, zufriedene Frau und ein vergnügtes Kind auf dem Spielplatz als auch detaillierte Körperpartien ohne jegliche Verletzungen oder Spuren von Gewalt zeigten, waren ohne Beweiskraft. Irgendwann im Laufe des Nachmittags, so würde das Biest aussagen, habe sich ihre Beziehung grundlegend verändert. Ganz plötzlich habe er sich auf sie gestürzt und ihr Gewalt angetan. Ja, sie gebe zu, dass sie ihn durch ihre Nacktheit und ihre gespielte Geilheit erregt habe, aber dieses Spiel habe er ja gewollt. Den Zeitpunkt, an dem die harmlose Aktfotografie in eine brutale Vergewaltigung umschlug, würde man sogar exakt an Hand der digitalen Negative ermitteln können. Denn ab diesem Zeitpunkt gab es nur noch Bilder, die von Gewalt zeugten, mit Wunden und Verletzungen. Bilder, auf denen sich statt Freude und Vergnügen nur noch Angst und Wut und Scham im Gesicht der Frau spiegelten. Es gab kein Bild, in dem der Schminkvorgang dokumentiert war, kein Bild, auf dem die scheinbar misshandelte Frau beim Abschied ihren angeblichen Peiniger anlächelte, kein Bild mit einem freundlich winkenden Kind im Hochstuhl.

Je mehr er sich ärgerte und sich in seine Ängste hineinsteigerte, umso weniger fand er eine Lösung. Er zerbrach sich den Kopf, was er tun sollte, um ungeschoren aus der verdammten Sache herauszukommen. Keine Polizei, das war klar. Das Ganze zu ignorieren und nichts zu bezahlen war aber auch riskant. Die Tussi würde mit Sicherheit aus Rache eine Anzeige wegen Vergewaltigung erstatten und als Beweis seine eigenen Bilder vorlegen. „Ich weiß, ich hätte gleich kommen müssen, aber ich konnte nicht. Ich habe mich so geschämt. Ich war so geschockt. Ich musste die Schande erst mal verarbeiten. Aber jetzt will ich, dass dieser Mistkerl bestraft wird, dass er eingelo
ht wird.“ So oder ähnlich würde sie jammern. Doch je mehr er nachdachte, umso weniger wollte er glauben, dass dieser Plan von der Frau allein ausgeheckt worden war. Nein, so sehr konnte er sich in ihr nicht getäuscht haben. Es konnte nur so gewesen sein, dass ihr Freund, dieser Fiesling, die Finger im Spiel hatte. Er war es, der die Sachlage auszuschlachten versuchte. Er war mit Sicherheit die treibende Kraft, weil er eine einmalige Chance sah, an Geld zu kommen, an viel Geld. Wer einmal zahlt, muss immer zahlen. Erpressungen hören nie auf, das weiß man doch aus den Krimis, das kriegt man doch in all den Fernsehserien mit.

Mitten in der schlaflosen Nacht kam ihm sogar eine ganz abstruse Idee. Er würde am frühen Nachmittag zum Spielplatz fahren, sein Auto, das die Frau ja nicht kannte, am Ausgang parken, sich mit Schal und Mütze vermummen und in den dichten Büschen verstecken. Wenn die Frau dann mit dem Kinderwagen käme, würde er hervor stürzen, sich das Mädchen schnappen, zu seinem Auto rennen und davon brausen. Er würde Gleiches mit Gleichem vergelten, Erpressung mit Entführung, Geldforderung mit Aufhörforderung. Er würde dem Kind natürlich nichts antun, es nur eine Weile bei sich behalten, bis die verzweifelte Mutter bereit wäre, die Erpressung zu unterlassen. Doch irgendwann wurde sein Kopf wieder klar. „Entführung, das ist doch genau so ein Kapitalverbrechen wie Vergewaltigung, Mann! Lass den Unsinn, sonst bis du nur noch tiefer in der Scheiße.“ Die Nacht war vorbei und er lag immer noch ratlos im Bett.

Den nächsten Vormittag verbrachte er mit Grübeln und Nachdenken, mit Hoffen und Bangen. Eine Patentlösung gab es nicht und so tat er das, was am Naheliegendsten war, er fuhr zu der Wohnung der jungen Frau, um die Lage vor Ort zu klären. Um nicht schon an der Haustür abgewiesen zu werden, wartete er, bis jemand das Haus verließ, stieg die vielen Treppen hoch und klingelte an der Wohnungstür. Erst tat sich nichts und er fürchtete schon, sie sei nicht zu Hause. Doch dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit und sie späte in den Flur. Als sie ihn erkannte, erschrak sie sichtlich und wollte die Tür rasch wieder schließen, doch er hatte einen Fuß dazwischen gestellt. „Lass mich rein, ich muss mit dir reden.“ „Nein, geh weg, ich will nicht, jetzt geht es nicht.“ So ging es eine Weile hin und her, bis sie ihn schließlich doch eintreten ließ. Im hellen Licht der Wohnküche sah er sie genauer an. Ihr Gesicht war bleich und ungeschminkt, die Haut unrein, mit Pickeln hier und da, die Augen verschwollen und ihr Haar, dessen Lockenpracht ihn begeistert hatte, war eine wirre, strähnige, formlose Masse. Das Auffallendste aber war die Angst, die er in ihren Augen sah und die diesmal echt war. „Warum bist du gekommen? Was willst du von mir?“ „Blöde Frage. Ich muss wohl dich fragen, was du von mir willst, warum du mich erpressen willst, du dumme Kuh. Was hast du dir eigentlich gedacht, als du mir das Bild geschickt hast?“ Er hatte sich unaufgefordert an den Küchentisch gesetzt, an den Ort, wo das Beweisstück für seine angebliche Schuld gelegen hatte, der auffällige Rucksack, und hörte der jungen Frau zu, die erst zögerlich, dann immer schneller, immer impulsiver redete.

Sie hatte die Bilder erhalten und sich sehr gefreut. „Die waren absolut Spitze, gerade die schlimmen. Wir waren gut, du und ich.“ Sie habe sie dann versteckt, weil ihr Freund so eifersüchtig sei. Deswegen habe sie auch keinen Kontakt mit ihm aufgenommen und sich noch nicht einmal bedankt. „Der durfte nichts merken. Aber er hat sie doch gefunden. Ich hab sie unter den Pampers versteckt, aber dann hab ich nicht mehr dran gedacht. Einmal hatte die Kleine die Windeln voll, lag auf dem Wickeltisch und strampelte wie blöd. Da sagte ich zu ihm, hol mir mal eine Pampers, ich kann die hier keine Sekunde allein liegen lassen. Und da hat er den Umschlag gesehen und gleich aufgemacht. Ich hab geschrieen, lass ihn liegen, der geht dich nichts an, der ist mir.“ Er habe aber nicht auf sie gehört und die Bilder raus genommen und geglotzt und geglotzt. Dann sei er auf sie zugekommen, ganz langsam, habe nichts gesagt, kein Wort, ihr nur eine gescheuert, ihr eine Ohrfeige gegeben, die sie auf das Sofa geworfen habe. „Ich war fast besinnungslos. Verstehst du? Besinnungslos vor Angst und Wut und Schmerz.“ Erst danach habe er Rabatz gemacht, sie ausgefragt, gelöchert, beschuldigt. „Für ihn war klar, dass ich fremd gegangen bin und dass ich den Fotografenheini verführt habe. Für ihn war klar, dass ich ihn so lange angemacht, so lange provoziert habe, bis der die Kontrolle über sich verloren und mich mit Gewalt genommen hat. Die Geschichte mit der gespielten Vergewaltigung hat ihn gar nicht interessiert, die hat er nicht geglaubt.“ Doch als seine Wut so langsam verrauchte, habe er begonnen nachzudenken und einen Plan zu schmieden. Und dann habe er sie gezwungen, ihm zu helfen. „Ich habe mich gesträubt und geweigert, das kannst du mir glauben, aber der fiese Kerl hat gesagt, er verprügelt mich so lange, bis ich gehorche und wenn ich jemandem davon erzähle, schlägt er mich tot und die Kleine mit dazu. Das hat er gesagt.“ Er sei von der Idee, aus der Sache Geld zu machen, viel Geld, geradezu besessen gewesen und sie habe ihn nicht mehr davon abbringen können.

Nachdem alles aus ihr herausgesprudelt war, schwiegen beide. Schließlich räusperte er sich. „Wo ist eigentlich die Kleine?“ „Sie ist bei meiner Mutter. Heute ist Mittwoch, da gehe ich normalerweise in den Paulaner. Aber die haben mich vor zwei Wochen rausgeschmissen, weil ich bei der Abrechnung ein bisschen geschummelt habe. Ich hab halt ganz nötig Geld gebraucht, wegen...ja, wegen dem Fernseher, wegen der Raten, die holen den doch wieder ab, wenn ich die Raten nicht bezahle. Meiner Mutter habe ich das noch gar nicht gesagt mit dem Rausschmiss, die glaubt, ich bin auf Arbeit.“ Sie schluchzte und wischte sich die Tränen mit einem zerknüllten Papiertaschentuch ab. Er blieb kühl und reserviert. „Das tut mir leid. Aber wie kommen wir jetzt weiter? Dir ist doch klar, dass du wegen Vortäuschung einer Straftat und Beihilfe zu einer Erpressung mächtig Ärger bekommen kannst.“ Natürlich war ihr das klar und sie versicherte ihm unter erneuten Tränen, dass sie nie und nimmer daran gedacht habe, ihn zu erpressen, nachdem sie beide, und hier lächelte sie zum ersten Mal schüchtern, nachdem sie beide so viel Spaß an diesem Tag gehabt hatten. Aber ihr Freund, der das alles ausgeheckt habe, er allein, wie sie betonte, ihr Freund sei gefährlich und zu allem fähig. „Der ist ein Schwein, ein echtes Schwein, dem trau ich sogar zu, dass er dich kalt macht. Du musst weg von hier. Er darf dich nicht in der Wohnung erwischen. Bitte geh jetzt, bevor er kommt. Geh bitte sofort.“ Sie beschwor ihn zu gehen, um seines und ihres Heils Willen, wie sie es sehr dramatisch, sehr theatralisch ausdrückte. Sie werde diesem Freund, mit dem sie eigentlich gar nichts mehr zu tun haben wolle, sie werde ihm seinen Plan mit der Erpressung schon ausreden. „Das war doch von Anfang an Schwachsinn. Hab ich ihm gleich gesagt. Wenn ich ihm klar mache, in welch beschissener Lage wir jetzt schon sind, hört er damit auf. Glaub mir. Der hat zu viel Schiss, wenn es drauf ankommt, der will nichts riskieren. Ich kenn ihn doch.“ „Und wenn er nicht aufgeben will?“ „Wenn er so doof ist, dann gehe ich zur Polizei und sage denen die Wahrheit. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Glaub mir, das mach ich, ich verspreche es dir.“

Sie rührte ihn, wie sie so hilflos und apathisch am Küchentisch saß, den Machenschaften dieses Oberarschlochs von Freund ausgeliefert. Sie steckte bis zur Halskrause in eigenen Problemen und war trotzdem noch um ihn besorgt. Seine Wut verwandelte sich beim Anblick des heulenden, schniefenden Häufchens Elend in Mitleid, ja in Zärtlichkeit. Die Lust auf diese Frau, die ihn schon an jenem bedeutsamen Nachmittag gepackt hatte, keimte wieder auf. Er beugte sich über den Tisch, berührte ihren aufgestützten Arm und streichelte ihn sanft. Sie blickte ihn erstaunt an. „Du musst doch eine Mordswut auf mich haben?“ „Das stimmt schon“ antwortete er, schob jedoch sofort nach „das ist aber jetzt vergessen und vergeben. Das ist gar nicht mehr wichtig. Weißt du, ich mag dich, sehr sogar“. Sie atmete sichtlich erleichtert auf. „Dann ist ja wieder alles gut zwischen uns und du kannst jetzt gehen und mich allein lassen. Wenn du willst, treffen wir uns mal wieder und du machst richtig schöne Bilder von mir und der Kleinen, im Park oder am Neckar. Weißt du, ich wollte dir schon damals sagen, dass es mir gut gefallen hat mit dir, nicht nur wegen der tollen Bilder.“ Sie säuselte noch etwas von Zuneigung und dass er überhaupt ein echt toller Mann sei. Sie liebte das Wort toll. Doch er glaubte ihr kein Wort. Was konnte diese junge Frau von ihm, einem mittelalten Knacker wollen, außer Geld oder irgendwelchen anderen Vorteilen, aber trotz aller Erkenntnisse, faszinierte sie ihn und er war scharf auf sie. Während sie zum x-ten Mal ihr Mantra wiederholte „lass mich bitte, bitte allein, bevor dieser Typ kommt“, fasste er einen Entschluss. Er würde bleiben. Er würde diese zerbrechliche, hilflose Frau nicht diesem unberechenbaren Wüterich überlassen. Er würde seinen Mann stehen, hier und heute und er würde die unangenehme Sache klären und ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Dies teilte er ihr mit und stellte definitiv klar, dass er an diesem Tisch sitzen bleiben würde, „bis dieses Arschloch mir Angesicht zu Angesicht gegenüber steht“. Nach diesen Ausführungen war ihr klar, dass sie ihn mit Worten allein nicht zum Gehen bewegen konnte und so setzte sie ihre letzte Waffe ein. Sie stand auf, ging um den Tisch herum und nahm auf seinem Schoß Platz. Erst streichelte sie seine Wangen, kraulte dann in seinen Haaren, drückte ihren vollen Busen an seine Brust und schmiegte schließlich ihr Gesicht an seines. „Jetzt ist doch alles gut. Wir sind wieder Freunde. Die Sache ist erledigt. Verlass dich drauf.“ Er atmete den Duft ihrer Haare ein, die allerdings dringend eine Wäsche gebraucht hätten und umarmte sie. Ihre Lippen näherten sich den seinen und er schloss die Augen in Erwartung eines heißen Kusses. Die Begierde hatte ihn nun voll erfasst und eine deftige Erektion machte sich bemerkbar. Doch sie drückte ihm nur einen sanften, gehauchten Kinderkuss auf die geöffneten Lippen und befreite sich aus seiner Umarmung. Er war enttäuscht, aber das Verlangen nach dieser Maria Magdalena blieb bestehen, ebenso wie sein Entschluss, hier zu bleiben und sie zu beschützen, der nicht so selbstlos war, wie er zunächst erschien. Denn er konnte gleich zwei Dinge miteinander verbinden. Er konnte ihr helfen und er konnte noch eine Weile ihre Nähe auskosten. „Nein, ich bleibe bei dir. Keine Macht der Welt kriegt mich von hier weg. Ich warte, bis der Typ kommt und dann...“ „Und was dann?“ Als sie merkte, dass auch ihrer Verführungskunst ihn nicht umzustimmen vermochte, stand sie abrupt von seinem Schoß auf, stützte die Hände auf den Küchentisch und sah ihn höhnisch an. Ihre Zärtlichkeit und ihre Hilflosigkeit waren wie weggeblasen. „Was willst du mit dem machen? Der macht doch dich nach Strich und Faden fertig und nicht umgekehrt. Und mich dazu. Das kannst du doch nicht wollen, oder?“ Ihr Redefluss strömt wieder ohne eine Spur von Liebenswürdigkeit. Immer wütender, immer aggressiver drängte sie ihn, sofort ihre Wohnung zu verlassen, sofort Leine zu ziehen, abzuhauen. Er führte diesen Umschwung auf ihre Erregung und ihre Angst zurück. Ärgerlich, ja wütend wehrte sie ihn ab, als er versuchte, sie wieder auf seinen Schoß zu ziehen. Resigniert setzte sie sich auf ihren Stuhl und sagte leise „Dann kommt es eben, wie es kommen muss. Ich habe dich gewarnt, du hast selbst Schuld.“

Sie saßen sich eine Zeit lang schweigend gegenüber. So gegen sechs hörte er, wie die Wohnungstür aufging. Die Frau schrie auf „Komm nicht rein! Er ist da! Verschwinde!“ Doch es war zu spät, in der offenen Küchentür stand der Freund, der Erpresser, der brutale Typ, der zu allem fähig war, selbst zu Mord und Todschlag. Es war ein Jüngelchen, schmal und ungepflegt, mit fettigen Haaren und einem pickeligen Gesicht. Er starrte erschrocken und kreidebleich auf die beiden. „Wa.., wa.., was is hier los?“ stotterte er. „Wer ist das? Und wa.. was is mit dir los? Hat der dich geschlagen?“ Die Sachlage klärte sich schnell auf. Sie brauchten nicht viele Worte. Bevor er die Wohnung verließ, sagte er zu ihr: „Gib mir die Bilder, damit deine blühende Phantasie dir nicht noch einen solchen Streich spielt.“ Als er den Umschlag in der Hand hielt, konnte er sich nicht verkneifen, ihr ein Lob auszusprechen „Du bist zwar eine dumme Nuss und eine blöde Kuh und hast mich zur Weißglut gereizt, aber du bist auch eine verdammt gute, was sag ich, eine hervorragende Schauspielerin. Aus dir könnte noch was werden.“

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