Ophelias Füsse

2 9-15 Minuten 0 Kommentare
Ophelias Füsse

Ophelias Füsse

Anita Isiris

Es war mit nachtblauem brokatartigem Stoff veredelt, und über dem Eingang hing ein golden glänzendes geheimnisvolles Zeichen. Wieso ich ohne zu zögern eintrat, kann ich heute nicht mehr sagen. Innen wirkte das Zelt noch grösser als aussen, es wurde von zahllosen Pfeilern gestützt, und es war mir wegen des diesigen Lichts unmöglich, das Zeltdach zu orten. An die 20 Männer sassen an kleinen Tischen, rauchten schweigend ihre Pfeifen oder nippten gelassen an bunten Teegläsern. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich mich zu ihnen gesellte. Mit einem Mal hielt auch ich ein blutrotes Teeglas in der Hand; der Inhalt duftete würzig. Dass Frauen hier nichts zu suchen hatten, war klar.

Handwerk und Handel machten Fès zu einer blühenden Stadt. Der Reichtum versteckte sich hinter unscheinbaren Fassaden. Bis heute ist Fès die kulturelle und geistige Hauptstadt Marokkos. So viele Moscheen und Koranschulen wie Fès hat keine andere Stadt im Land.

Mit weichen Knien setzte ich mich auf den letzten leeren Stuhl und erkundigte mich mit leiser Stimme (um meine Weiblichkeit auch akustisch zu verbergen) nach dem bevorstehenden Anlass. Ein Orientale mit weissem Turban zwinkerte mir viel versprechend zu und bot mir eine Schale mit Lokum an. Ich liebe Türkischen Honig! Erst jetzt nahm ich die vielen Delikatessen wahr, die um mich herum auf den kleinen Tischen verteilt waren: Datteln aus Damaskus, bunte Süssigkeiten, aufgeschnittene Früchte, die ich noch niemals gesehen hatte, gezuckerte Papaja-Stengel und Unmengen von Meererzeugnissen türmten sich vor meinen Augen. Ich delektierte mich an einer kandierten Ananas, tat einen kräftigen Zug aus einem bunten Glas und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Mit einem Mal war es totenstill, und ich stellte fest, dass der Zelteingang verschlossen worden war. Aus dem Schatten löste sich ein Gespann von vier weiss gekleideten, stolzen Männern.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 3875

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben