Jemand rüttelt an meinem Arm: es ist die Tätowiererin. Wir sind wieder in unserem Abteil.
„Mach’ dich fertig! Wir sind gleich da.“ Zum ersten Mal höre ich eine Stimme, eine warme hocherotische Stimme.
Hell und warm scheint die Sonne durch das Fenster und in der Ferne sehe ich die Kuppel der Moscheen.
Langsam richte ich mich auf. Sie ist noch immer nackt, aber nicht so wie gestern.
Ein kleines Tattoo, das von ihrem Bauch über ihre Leiste bis zu ihrer Lustspalte sich erstreckt und so wirkt, als würde es sich darin verstecken. Es ist zweifarbig: türkisgrün und rot.
Während ich sie betrachte, wird die Abteiltüre geöffnet und das zweite Mädchen betritt mit einem strahlenden Lächeln das Abteil. Sie trägt noch immer mein Hemd. Sie bleibt vor mir stehen und öffnet die Knöpfe:
Auch sie hat ein Tattoo, genau dasselbe nur spiegelverkehrt.
Ich schlage die Bettdecke zurück und ziehe sie sofort wieder zu mir. Habe ich richtig gesehen?
Ich hebe die Bettdecke vorsichtig an: Ich habe richtig gesehen – ich bin auch tätowiert. Links und rechts, über meinen Leisten befinden sich jetzt kleine Flügel. Schmetterlingsflügel!
Doch sie passen nicht zusammen, denn sie sind spiegelverkehrt auftätowiert, als ob sie zu verschiedenen Tieren gehörten. Direkt an die Flügel ist der komplette Körper des Schmetterlings tätowiert, auf meinen Schwanz.
Andächtig stehen die Mädchen neben dem Bett und warten auf meine Reaktion.
Ich sehe an ihnen herunter und erkenne in ihren Tattoos die jeweils andere Hälfte des Schmetterlings.
Langsam erschließt sich mir die Raffinesse dieser Arbeit:
Wenn ich in das eine Mädchen eindringe, ist einer meiner Schmetterlinge komplett, schlafe ich mit der anderen, ist der andere Schmetterling komplett.
Doch da ist noch etwas!
Ich stehe auf und nehme jede auf eine Seite. Dann ziehe ich beide so nahe an mich, dass wir ein Dreieck bilden. Wenn ich jetzt von oben an uns heruntersehe, sind beide Flügelpaare vereint, teilen sich aber einen Körper:
Meinen tätowierten steifen Schwanz!
„Son durak Istanbul. Herkes insin!“ Der alte Schaffner kündigt die Einfahrt des Zuges in den Zielbahnhof an. Zur Kontrolle schaue nochmals unters Bett. Ein kleiner vergilbter Zettel liegt dort.
„Hos geldeniz yilinda 1912! (Willkommen im Jahr 1912).
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