Wie lange Ossi den Hilberenhof bereits mitbewirtschaftete, hätte niemand zu sagen vermocht. Es ging das Gerücht, dass er einst als Findelkind vor dem Viehstall abgelegt und am nächsten Tag beinahe von einer Kuh zertrampelt worden wäre, die auf die Weide drängte. Mittlerweile war aus ihm ein hübscher Jüngling geworden, der seine Arbeit gewissenhaft verrichtete und oftmals der Letzte war, der zu Bett ging. Natürlich verfügte Ossi nicht über ein Bett, sondern über eine Strohmatte, die er aus Gründen der Sauberkeit alle Wochen einmal wendete. Immer, wenn Ossi gegen 22:00 Uhr den Hof gewischt und ein letztes Mal nach den Kühen und den Ferkeln geschaut hatte, konnte er nicht anders, als kurz vor Sillas Zimmerfenster stehen zu bleiben. Silla war die Tochter des Hilberenbauern und von dessen Gemahlin Josephina. Sie war eine bildhübsche, erblühende junge Frau, und Ossi hätte alles darum gegeben, sie einmal, ein einziges Mal, nackt zu sehen. Bisher war ihm das aber nicht vergönnt gewesen. Wenn er des Nachts vor ihrem Fenster stand, sah er sie nur schemenhaft hinter den Vorhängen, in einem Buch lesend, vermutlich in der Bibel. Denn Silla wurde vor allem von ihrer Mutter streng religiös und tugendhaft erzogen. Josephina war nicht entgangen, zu welch anziehendem jungem Mann Ossi heranwuchs. Insbesondere seine langen Wimpern und sein dichtes schwarzes Lockenhaar waren ein Mittagssuppenthema bei den Mägden, und Josephina hörte stets missbilligend hin.
Sie fürchtete um ihre Tochter, sie fürchtete, dass diese eines Tages in Liebe zu Ossi entflammen könnte. Dann wäre Silla jedoch für den Rest ihres Lebens trostloser Armut und Abhängigkeit ausgesetzt, und Josephina wünscht sich für ihr einiges Kind ein besseres Leben als das an der Seite eines Hilberenhofknechts.
Dann war da die Geschichte mit den Lämmern.
Ossis Griff an Sillas Punze – und was aus ihm wurde
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Ossis Griff an Sillas Punze – und was aus ihm wurde
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