Die philipinische Pflegefachfrau arbeitete erst seit kurzem in Bern. Walter hatte eine schwierige Position als Assistenzarzt – er häufte wesentlich mehr Überstunden an, als das aktuelle Arbeitsgesetz zuliess. Ja, Arzt war er geworden, der Walter. Ihm und der Familienplanung zu liebe hatte Christina ihr Germanistikstudium auf der Strecke gelassen, war zur Hausfrau mutiert. Keiner würde ihr je Vorwürfe machen können. Und jetzt das. Marie-Fé. Sie war noch fast ein Mädchen, mit frechem, kleinem Hintern, bescheidenem Busen und dunklen Augen, tief wie das Meer. Christina hatte sie an einem Betriebsfest, zu dem auch sie eingeladen war, zum ersten Mal gesehen. Marie-Fé war ausgesprochen sprachbegabt. Sie hatte ein paar Jahre in Berlin gelebt und redete nahezu akzentfreies Deutsch. Walter hatte sie ihr vorgestellt als „unser neues Krankenschwesterlein". Auf Walters Arbeitsleben hatte Christina keinen Einfluss. Das schmerzte.Dann war da die Geschichte mit dem Hauszelt in Cinque Terre. Christina hatte sich so auf den Familienurlaub gefreut. Ihre ältere Tocher Evelyne war 8 Jahre alt gewesen damals, Sue 5. Als die beiden mit andern Kleinkindern spielten in der Nachbarschaft, hatte Walter Stefano, einen seiner Freunde, ins Hauszelt eingeladen – auf einen Schluck Chianti. Nach drei Gläsern hatte er Christina aufgefordert, sich vor Stefano und ihm auszuziehen. „Voglio vedere la tua figa!" Auch diese Aufforderung hatte sich in ihren Alpträumen wiederholt. Voglio vedere la tua figa! Dass Walter so etwas zuliess! Er war an Obszönität nicht zu überbieten. „Weißt Du, Baby", hatte er einmal zu ihr gesagt und ihr seine grosse, sehnige Hand auf den nackten Bauch gelegt, „weißt Du, es ist für mich der schönste denkbare Gedanke, dir zuzuschauen, wie Du Dich in den Armen eines Andern windest". Anders als mit Joaquin hatte sie allerdings mit Stefano nicht schlafen müssen.
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