Das Mädchen, das mir gegenüber im Zugabteil saß, mochte 19 oder 20 Jahre alt sein. Ob sie sich selbst als „Punkerin" oder „Gruftie" bezeichnet hätte, weiß ich nicht. Ich kenne mich auch nicht gut genug in den entsprechenden Szenen gegenwärtiger Jugendkultur aus, als dass ich sie eindeutig einer dieser Kategorien hätte zuordnen können. Ihr Outfit – Kleidung, Frisur, das gesamte Styling – strahlte jedenfalls eine gewisse „Morbidität" aus, die auf mich gleichermaßen provozierend wie attraktiv wirkte.
Gekleidet war sie ganz in Schwarz: schwarze Lederstiefel, eine schwarze Hose, ebenfalls aus Leder, ein schwarzes T-Shirt und darüber ein schwarzer Kapuzenpulli. Ihre kurz geschnittenen Haare waren schwarz gefärbt, ebenso die Augenbrauen. Selbst Lidschatten und Lippenstift waren schwarz – ein eindrucksvoller Kontrast zu ihrem eher bleichen Teint.
Sie war hübsch – allerdings eher auf den zweiten, als auf den ersten Blick: Ihre Augen waren unergründlich dunkel und tief, als hätten sie schon in jungen Jahren zu vieles gesehen, was sie nicht hätten sehen sollen. Ihre Haut war makellos, ihr Körper zierlich und wohlproportioniert.
Das hervorstechendste Merkmal an ihr waren freilich die Piercings, mit denen sie sich hatte ausstatten lassen: Ein silberner Ring zierte ihre linke Augenbraue, ein weiterer das rechte Nasenloch, mitten in der Unterlippe trug sie einen Stecker und wenn sie sprach, blitzte auch auf ihrer Zunge ein silbernes Kügelchen. Und in jedem Ohr hatte sie fünf oder sechs Ohrringe.
Sie faszinierte mich! Hinter dem provozierend morbiden Äußeren sah ich ihre unverbrauchte Jugendlichkeit und Frische. Ihr Blick war – bei aller Tiefe – doch auch irgendwie „kindlich". Und ihr Körper strotzte nur so vor ungebremster Energie.
Wir saßen seit Köln im selben Abteil, und ich nahm an, dass sie – wie ich – nach Berlin fuhr: viel Zeit also, einander kennen zu lernen.
Piercing
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