Pinocchio

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Pinocchio

Pinocchio

Thomas Sabottka

Er kannte jede ihrer Angewohnheiten.
Nein!
Nicht wirklich jede.
Aber fast alle.
Er wusste wann sie morgens aufstand um sich zu duschen, ein hastiges Frühstück einzunehmen und dann zur Arbeit zu gehen.
Was sie genau tat, auf der Arbeit, wusste er nicht.
Er durfte sie ja nicht begleiten.
Sah nur wann sie die Wohnung verließ, von seinem Platzt aus der manchmal variierte.
Gelegentlich ließ sie ihn neben dem Bett liegen, was ihm eine fast surreale Ansicht der Wohnung bot.
Von unten, ganz dicht an den Boden geschmiegt, wo er gerade mal ihre nackten Füße erkennen konnte, die sich in die flauschige Oberfläche des Bettvorlegers aus Kunstfell drückten.
Mit den Zehen, die sie in fast akribischer Genauigkeit lackierte, immer diese lustigen Wattebällchen zwischen den Zehen damit diese auseinander gespreizt blieben.
Ansonsten sah er an diesen Tagen nicht viel.
Von allem nur die Füße.
Dann sehnte er sich fast schmerzhaft danach dass sie sich seiner wieder erinnern würde, sich eine Weile suchend in der kleinen Wohnung umsah, vielleicht sogar im Bad nachschaute...
Als hätte er schon einmal im Badezimmer gestanden!
Das war viel zu gefährlich, da ihm nämlich Feuchtigkeit schadete.
Zu gerne wäre er einmal nur zu ihr in die Badewanne geschlüpft.
In das warme Wasser, dass ihren makellosen Körper umspülte, wie weiche Seide.
Manchmal aber, stand er auch viel höher auf dem Schrank, neben den Lautsprecherboxen, welche sich tagsüber in Schweigen hüllten und nur Abends einen sanften Regen aus klassischer Musik nieder fallen ließen.
Diesen Platz genoss er.
Wenn draußen die Sonne schien, die warmen Strahlen ins Zimmer vielen, alles in ein weiches, helles Licht hüllten in dem feine Staubkörnchen einen fröhlichen Reigen tanzten.
Dann saß er einfach da und sinnierte.
Über die Verrücktheit dieser Welt.
Darüber, dass sie ihn manchmal übermütig mit Ketten, oder kleinen Kränzen aus getrockneten Blumen schmückte und ihn zärtlich, zwinkernd ihre große Liebe nannte.
So verbrachte er die Tage.
Geduldig darauf wartend das sie von der Arbeit heimkehrte.
Er konnte nicht wissen was sie auf Arbeit tat.
Sah nur wie sie sich in dieses graue Kostüm hüllte, jeden Morgen ihre Nägel lackierte und Make-Up auflegte.
Dann, Stunden später zurück kam, die Wohnung meist seufzend betrat, die Schuhe abstrich und achtlos in den Flur warf um sich für eine Zigarettenlänge erschöpft auf die Couch fallen zu lassen.
Manchmal hatte sie auch Einkaufstüten in der Hand, die sie erst auspacken musste.
Das alles konnte er sehen.
Die anderen Dinge konnte er nur erahnen, schlussfolgern, aus den gelegentlichen Telephonaten die sie einmal die Woche Abends mit ihrer Mutter führte.
Ihrer Mutter, die sie offensichtlich immer wieder damit nervte, das ihre alten Klassenkameradinnen, inzwischen schon längst verheiratet waren und Kinder hatten.
Oder wenn sie sich mit Freundinnen unterhielt, von der Arbeit sprach, manchmal einige Namen erwähnte, von Kollegen, die sie vielleicht sogar ganz attraktiv fand und eventuell sogar mal mit denen Kaffee trinken gehen wollte, auch wenn sie es nie wirklich zugab.
Aber er kannte diesen Ton in ihrer Stimme.
Jede noch so feine Nuance in der Stimmlage.
Denn dieser Ton gehörte ihm.
Und zwar nur ihm.
Wenn sie also solche Dinge erwähnte, ihren albernen Freundinnen gegenüber...
Dann fühlte er meist einen kleinen Stich der Eifersucht in sich.
Im Großen und Ganzen redete sie aber nie allzu viel über solche Dinge. Jedenfalls nicht am Telephon.
Er wusste nicht ob es daran lag dass sie doch Rücksicht auf ihn nahm und ihn nicht mit solchen Geschichten belästigen wollte.
Aber er redete es sich gerne ein, damit er sich nicht ganz so einsam fühlte.
Vielleicht hielt sie ihre Telephonate auch kurz, weil sie nie so ein richtig verschwenderischer Typ war, sondern eher sparsam.
Er kannte auch die Wochenenden, wenn sie Zeit hatte, lange im Bett liegen blieb, das Frühstück meist sehr spät ansetzte, schon mal den halben Tag liegen blieb, Fernsehen guckte, etwas las oder auch in einem Anfall von Übermut oder Sehnsucht, eine Flasche Wein öffnete, um sie in großzügigen Schlucken über den Tag verteilt zu sich zu nehmen.
Das waren seine Tage.
Nicht die Momente, wenn sie doch Abends, oder Sonntagnachmittag Besuch bekam. Ihre Freundinnen aus alten Zeiten, mit ihren Kindern, manchmal sogar mit Ehemännern, die sie dann sehnsüchtig, versteckt anstarrte.
Nicht diese Momente, Stunden voller Ungewissheit und bohrender Eifersucht, die er versteckt irgendwo im Schrank verbringen musste.
Wenn das Holz der geschlossenen Türen, jedes Wort dämpfte, jede Bewegung von draußen schluckte, die Dunkelheit im Schrank aber umso mehr die eigenen Empfindungen in den Vordergrund rückte.
Nein, es waren die Momente in denen sie diese unbestimmte, oft auch verleugnete Sehnsucht in sich spürte und ihr dann nachgab.
Wenn sie mindestens die Hälfte der Weinflasche geleert hatte und irgendetwas im Fernsehen gesehen oder etwas gelesen hatte, das ihre Phantasie anstachelte.
Das waren seine Stunden.
Stunden voller Zärtlichkeit und Verlangen.
Unbeschreiblicher Erregungen.
Wenn sie nach ihm griff, er ihre warmen Fingerspitzen auf sich spürte, sie ihn zu sich nahm, in die Arme schloss...
Er über ihre Haut strich, was eine Spur, Eiswürfeln gleich hinterließ, die brennend und kalt zugleich sich über die weichen Rundungen ihres Körpers zog.
Haut die von einem vorrangegangen Bad noch warm war.
Weich, zart und duftend.
Die sich über der Scham spannte.
Leicht gerötet.
Wo noch vereinzele Tropfen von Feuchtigkeit in den krausen Haaren glitzerten.
Wenn sie ihn mit erregten, zitternden Händen führte, ihm zeigte an welchen Stellen sie besonders erregbar war.
Nicht das er das noch nötig gehabt hätte.
Nach so langer Zeit vertrauter Zweisamkeit, trotz aller Schwierigkeiten, kannte er jeden Zentimeter ihrer Haut.
Jede noch so sorgsam versteckte Stelle, jedes sonst so intensiv gehütetes Geheimnis...
Er kannte sie alle.
Wusste genau was er tun musste.
Wie sanft oder stark der Druck sein durfte den er ausübte.
Er wusste jede noch so geringe Schwingung in ihrem Atem zu deuten.
Jede Veränderung in der Abfolge, dem Rhythmus, der Lautstärke...
Töne die so leise waren, das sie niemand wahrnehmen konnte.
Nur jemand der so ein feines, sensibles Gespür hatte wie er.
Das waren die Momente in denen er fast anfing zu singen.
Sich in unfassbare Höhen aufschwang, er jeder Bewegung folgte, die ihr Körper machte und die doch nur eine Reaktion auf seine Zärtlichkeiten war.
Wenn sich ihre Brustwarzen versteiften, wenn sie fast schreiend, zuckend ihre feuchten Schenkel zusammenpresste, wieder öffnete, sich ihm entgegen warf wie ein verzweifelter Schrei der die Stille zerriss, sich wie ein Gewitter ergoss, sich aufbäumte, bevor er richtig in sie eindringen konnte.
In diesen Momenten wünschte er sich, das er mehr wäre.
Das er sie ebenfalls in die Arme nehmen konnte, sie küssen konnte, über ihre Haut lecken...
Das er mehr wäre als ein schwarzes Stück Plastik in der langen, geschwungenen Form einer Kerze nicht unähnlich, das sein elektrisches Brummen eher das Schnurren einer Katze sei...
Manchmal wünschte er sich wirklich, dass er ein richtiger Junge wäre.
Und das sie sich das selbe von ihm wünschte.
Aber nur manchmal.

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