Holger war nur im ersten Moment nervös. Kurz sah er sich im Wohnzimmer um und stellte trotz der fortgeschrittenen Zeit fest, dass jedes Möbel noch immer am gewohnten Platz stand. Die zwei Strassenlampen, deren eine Neonröhre flackerte, lieferten genügend Licht, dass er sich vorbereiten konnte. Die Tür, die über die Veranda nach draussen führte, hatte er mit Leichtigkeit öffnen können, weil Polina noch immer nicht begriffen hatte, wie man sie einbruchsicher abschloss.
Ob sie alleine schlief? Alles andere hätte Holger überrascht – so kurz nach der dramatischen Trennung. Noch immer erinnerte er sich an die an ihn gerichteten Schimpfworttiraden, die zu der gebildeten und zierlichen Frau so gar nicht passen wollten. Holger versicherte sich, ob das Taschenmesser tatsächlich in seiner Hosentasche steckte und wusste gleichzeitig, dass er zum letzten Mal in seinem Leben hier war.
Dann holte er tief Luft und trat aus dem Wohnzimmer hinaus in den mit Tonplatten ausgelegten Korridor. Er erschrak ob dem Geräusch, das seine eigenen Schuhe verursachten und beschloss im selben Moment, die Sache nicht zu lange hinauszuzögern.
Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Polina schlief, wie immer, in der Embryonalstellung. Der Mond beleuchtete ihr tiefschwarzes Haar, das übers Kissen ausgebreitet war. Dieser Anblick rührte Holger so sehr, dass er beinahe eine Kehrtwendung gemacht und die Wohnung auf dem selben Weg verlassen hätte, auf dem er in sie gelangt war. Das Leintuch hatte Polina bis zu den Schultern hochgezogen.
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