Die Prinzessin und der Apfelstock

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Die Prinzessin und der Apfelstock

Die Prinzessin und der Apfelstock

Anita Isiris

Supratolien grenzte aber nicht nur an Freundesland. Es gab da auch einen grossen, dunklen Wald, in den sich selbst die verwegensten Jäger von König Alfons nicht hineinwagten. Immer, des Sommers und des Winters, lag ein Nebelschleier über den Fichten, Föhren, Tannen und Eichen, und keine Menschenseele drang tiefer als unbedingt notwendig ins Dickicht ein – höchstens dann, wenn sich ein wertvoller Jagdhund, auf der Suche nach einer Schnepfe, verirrt oder im Gestrüpp verheddert hatte.

Anastasia verbrachte eine vollkommen unbeschwerte Kindheit zwischen Goldkugeln, warmen Bädern und erlesenen Speisen. Sie war so anmutig wie eine Göttin, verwendete viel Zeit auf ihr dichtes, schwarzes Haar, das sie mit silbernen Bändern durchflocht, und ihr Körper war der heilige Gral des Königshofs. Nicht einmal ihre Ammen durften sie ganz nackt sehen und mussten sich abwenden, wenn Anastasia in den Badebottich stieg. Dort blieb sie meist über eine Stunde, genoss Rückenmassagen, duftendes Akazienöl und liess ihre schillernde, reine Seele baumeln.

Über ihr war ein grosses Fenster, das in einen güldenen Rahmen eingelassen war. So beobachtete Anastasia die Schäfchenwolken über ihr und fantasierte Dinge in diese Wolken hinein, Dinge, von denen ihr Vater besser nichts wusste. Die eine oder andere Wolke sah nämlich genau so aus, wie das komische Ding, das seit ein paar Wochen mit ihr das Bett teilte.

Anastasia hatte soeben ihr 18. Altersjahr erreicht, und in der Nacht auf ihren Geburtstag war es zum ersten Mal da gewesen. Sie schlief meist auf der Seite, mit angezogenen Beinen, und es hatte sich an sie geschmiegt, das Ding. Durch das dünne Nachthemd hindurch hatte sie gespürt, dass da etwas war – vermutlich ein Wulst im Leintuch, eine Falte in der Matratze. Sie war jedoch zu müde, um dies nachzuprüfen – die stundenlangen Bäder im duftenden Bottich erschöpften sie.

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