Im Gegenteil, ich bewundere Ihre Kraft und den Mut, sich den Herausforderungen des Alltags zu stellen.“
„Wie meinen Sie das denn jetzt schon wieder?“
„Ganz einfach. Überall Stufen und Treppen, öffentliche Verkehrsmittel nur selten Barrierefrei, Wohnungen in der Regel nicht behindertengerecht.“
„Ich habe keine andere Wahl. Es ist nun mal, wie es ist.“
„Und eben genau das ist es, was ich bewundere, Sie haben nicht aufgegeben. Außerdem steckt hinter so einer Operation immer eine Geschichte.“
„Ja leider. Ein Autounfall. Ich war eingeklemmt. Sie mussten es abnehmen, um mich freizubekommen. Noch immer bin ich traurig, wenn ich daran denke, und das tue ich leider noch viel zu oft.“
„Verdammt, das klingt übel. Dafür kommen Sie gut damit klar. Ihre Bewegungen und die Kraft, echt klasse. Am liebsten würde ich Sie „Mietze“ nennen.“
Bastian schiebt mich gemütlich vorwärts, ohne Eile, den gemeinsamen Moment in die Länge ziehend. Der Kerl ist lustig. Ich mag ihn, wie er spricht, was er sagt. Ich denke, er ist ehrlich und sagt nicht nur, was er denkt, dass ich es hören will, sondern tatsächlich, was er wirklich meint. Und mein Gefühl verrät mir, dass er nicht einer von diesen gleichgültigen Typen ist. Die, die meine Behinderung als Möglichkeit nutzen, um mich anzumachen. Mich ins Bett zu ziehen. Die, die sich danach damit brüsten, eine Amputierte flachgelegt zu haben. Von diesen Machos und Fuckboys begegnen mir täglich immer mal wieder welche. In der Bank, Kollegen und Kunden gleichermaßen, auf dem Arbeitsweg und sogar beim Training im Fitnessstudio. „Mietze“, wie kommt er nur auf sowas? Klingt niedlich.
„Wie kommen Sie auf Mietze?“
„Ihre schwarzen Haare glänzen wie das seidige Fell einer Muschi und ihr Gang ist grazil, anmutig und kraftvoll, wie der einer Katze.“
„Sie wissen doch gar nicht, wie glänzend das Fell meiner Muschi ist.“, antworte ich frech grinsend. Ich wundere mich über mich selbst, wie schlagfertig die Antwort kam. Wie aus der Pistole geschossen.
„Ach du Scheiße, tausend Leute im Station und mich trifft der Ball.“, gibt er mir wieder Rätsel auf.
„Hä?“
„Das mit dem Fell … sollte nun nicht ansatzweise mit ihrer … äähhmm… naja, ich und meine Fettnäpfchen.“
„Schon gut, schon gut. Hatte ich auch nicht so verstanden, aber ich wollte Sie mit Ihrem Lapsus ein bisschen ärgern.“, lache ich.
„War blöd, sorry.“, entschuldigt er sich schon wieder.
Wie von Geisterhand stehen wir vor der Supermarkttür. Wie doch die Zeit vergeht, wenn man nicht alleine ist. Und wenn die Unterhaltung dann noch Spaß macht …
Bastian ist stehengeblieben und wieder um den Rolli herumgekommen. „Da wären wir.“, sagt er und kaut verlegen auf seiner Unterlippe herum. Sollte es hier und jetzt schon wieder zu Ende sein? Irgendwie wissen wir beide nicht, was wir jetzt sagen sollen. Bis mir einfällt, dass ich ihm noch eine Antwort schuldig bin.
„Anni Wendt.“, lächle ich ihn an.
„Was?“
„Anni Wendt … mein Name. Aber Mietze ist auch ok. Und ich muss da jetzt rein, bevor die zumachen. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“, grinse ich.
„Anni. Schöner Name. Äähhmm, ich darf also nicht mit Ihnen da rein?“
„Wenn Sie auch einkaufen wollen, kann ich Sie nicht davon abhalten. Um mich weiter zu schieben? Dafür nicht.“
„Verstehe. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen, dass ich es sehr angenehm fand und ich das gern wiederholen würde.“
„Ich fand’s auch gut. Wir werden sehen Bastian. Aber ich muss jetzt wirklich. Ciao dann.“
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