Lia saß am Fenster und schaute mit ihren großen traurigen Augen dem Schneetreiben zu. Es schneite seit Stunden, und Lia erinnerte sich an Zeiten, in denen sie sich in eine rosa Angoradecke gehüllt und es sich vor dem Kaminfeuer bequem gemacht hatte. Linus hatte an ihrer Seite gesessen, Abend für Abend, und ihre Füße gestreichelt. Ja, der Linus. Damals war er noch vermögend gewesen, hatte sein ganzes Geld in eine tolle Wohnungseinrichtung gesteckt und sie, Lia, war die Innenarchitektin gewesen. Innenarchitektin, Gespielin, Köchin, Gärtnerin.
Dass dieses Seifenblasenleben eines Tages ein jähes Ende nehmen musste, hatten Lia und Linus während der beginnenden Rezession nur zu lange verdrängt. Mittlerweile war Linus seit über zwei Jahren arbeitslos, und nichts deutete darauf hin, dass er einst Deutschlands führender Börsengilde angehört hatte.
Lia seufzte. Den spärlichen Inhalt des Lebensmittelschranks kannte sie nur zu genau. Eine Gemüsesuppenpackung lag da, zwei Tage altes Brot, Rhabarberkonfitüre. Es war zum Kotzen. Nur knapp konnten sich die beiden ihre Wohnung im gesichtslosen Außenquartier leisten, und an der Badezimmerdecke breitete sich Schimmel aus. Nichts Luxuriöses gab es hier, Mobiliar vom Trödler, ein paar CDs von Blondie und Kylie Minogue, und die alte Gitarre von Linus strahlte Einsamkeit aus. Linus war unterwegs, Milch kaufen.
Es musste etwas geschehen. Lia schien es, die Flocken draußen würden immer größer, und ihr Mann hätte längst schon zu Hause sein müssen. Trotz materieller Verluste war die Liebe zwischen den beiden erhalten geblieben, Linus war ein zärtlicher Liebhaber, Lia eine liebevolle und vor allem auch hübsche Frau, die allerdings auch die Begehrlichkeiten anderer Männer auf sich zog. Sie hatte allerdings andere Sorgen als sich Fremden zu öffnen; Lia senkte lieber den Blick, als dass sie flirtete.
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