Sowas von. „Viel zu sehen, gibt es bei mir nicht“, lachte er und zeigte Karin seine drei Räume, das Wohnzimmer, das Schlaf- und das Gästezimmer. Spartanisch möbliert, die einzige Extravaganz, die Jorge sich gönnte, war eine akustische Gitarre in jedem der drei Zimmer. Jetzt wusste Karin, woher die Blues-Klänge kamen, die sie schon so oft in den Schlaf begleitet hatten. Die 15 war nicht wirklich schallisoliert, und Jorges Blues-Klänge waren das eine. Wenn Karin aber Herrn Hufnagel schnaufen hörte, während sein Weibchen quiekte wie ein Ferkel, dann musste sie das Zimmer wechseln. Sie hielt die Vorstellung nicht aus, wie der Familienpapa seine adipöse Dunja rannahm, mitten in der Nacht.
Strahlend verliess Karin Jorges Wohnung wenig später mit zwei Eiern – ihr Kuchen war gerettet. Der Sommer zog dahin, die Tagesschau plätscherte mit den immerundewiggleichen Themen vor sich hin. Überschwemmungen. Orkane. Ein Treffen der Atommächte, aber nie von allen zugleich. Das wäre langweilig. Entweder es trafen sich die Guten oder die Bösen. Das hielt die Spannung aufrecht. Trockenheit. Wassermangel. Flüchtlingsströme ohne Ende, und alle wollten nach Deutschland. Italiens und Griechenlands geographisches Pech. Kalte, belanglose Worte in Brüssel.
Dann fasste Jorge sich ein Herz. Mit sexuellen Eskapaden hatte er eigentlich abgeschlossen, seit seine Frau ihn von einem Tag auf den andern aus der Wohnung geworfen hatte. Warum, hatte er nie herausbekommen. Aber Jorges ganzes Sehnen und Streben galt mal wieder einem Abend, an dem in seiner Wohnung das Lachen einer Frau erklang, das unbeschwerte, silberhelle Lachen einer jungen Frau, die ihm zugetan war. Und so kam es, dass er Karin zum Abendessen einlud. Für sie fühlte es sich sehr an, bei Jorge zu Tisch zu sitzen, so natürlich, dass sie es nicht einmal für nötig fand, ihren Freund Tom zu informieren.
Roggenbrot, Nudelsuppe und nackte Füsse
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Roggenbrot, Nudelsuppe und nackte Füsse
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