Roggenbrot, Nudelsuppe und nackte Füsse

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Roggenbrot, Nudelsuppe und nackte Füsse

Roggenbrot, Nudelsuppe und nackte Füsse

Anita Isiris

Jorge gehörte zur seltenen Spezies von alten Männern, die junge Frauen anziehen. Er war weit entfernt vom ekligen alten Mann, der zuoberst, in der 5. Etage, wohnt und mit seinem Fernrohr junge Frauen beobachtet, die sich im Garten sonnen. Oder der regelmässig in die Sauna geht, in die gemischte Sauna, versteht sich, um sich dort unter seinesgleichen wiederzufinden. Bis plötzlich, welcher Glücksfall, eine nackte 40jährige mit ihrem Partner lachend das Eukalyptusbad betritt. Jorge war anders. Sein volles silbernes Haar stand ihm gut ins Gesicht, er war drahtig gebaut und verfügte auch mit 70 Jahren noch über einen veritablen, schon fast gar jaggeresk zu nennenden Astralkörper. Nichts an Jorge war schlaff, nichts an Jorge war zweideutig, nichts an Jorge war schmierig, vor allem sein Händedruck nicht, und genauso wenig seine klaren, grünen Augen, die alles um ihn herum zu ergründen schienen.

Jorge war im Grunde ein geselliger Mensch, und über seine Vergangenheit wusste niemand im Wohnblock so richtig Bescheid. Er war einfach da gewesen, eines Tages, und er kümmerte sich rührend um die beiden Apfelbäume, die im Sommer unter der zunehmenden Trockenheit litten, und er wischte von sich aus das Treppenhaus und die Waschküche. Einfach so. Die Frauen in der Nummer 15 versetzte das in Schnappatmung. Ein Mann, der aus freien Stücken herausputzt, und zwar gründlich. Man stelle sich das vor.

Und so kam es, dass Karin eines Abends bei Jorge klingelte. Sie wollte backen, aber die Eier waren ihr ausgegangen. Selbstverständlich hätte sie auch bei Familie Hufnagel klingeln können, denn es gibt in diesem grossen weiten Land keine einzige Familie, in deren Kühlschrank nicht mindestens zwei Eier liegen und ihres Verzehrs harren. Aber Karin wollte zu Jorge. Er war überrascht, bat sie dann aber freundlich in seine Wohnung. Karin folgte der Einladung, ohne zu zögern, denn Jorge war vertrauenswürdig.

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