Wie gerne würde ich dies mit Michel tun. Ich könnte wetten, dass er hier verkehrte. Aber mit ´ner Burka brauchte ich mich hier nicht blicken lassen.
Eine plötzliche Eingebung flüsterte mir ein, dass er in dem Hochhaus da drüben lebte, und zwar in einem geräumigen Appartement ziemlich weit oben. Da er unter polizeilichem Schutz stand, braucht ich nicht darauf zu hoffen, seinen Namen auf dem Klingelschild zu finden. Es war wohl besser, meine Verkleidung aufzugeben und ihm als die zu begegnen, die ich war. Was sollte mir schon groß passieren, außer, dass er mich womöglich abwies?
In der kommenden Woche schlich ich regelmäßig in seinem Viertel umher, bekleidet mit einer unauffälligen Jeans und einem koketten Blüschen. Endlich hatte ich Glück. Er kam direkt auf mich zu, den Kopf gesenkt.
„Michel! Was für eine Überraschung!“
„Ja.“ Traurig hob er den Kopf und sah mich an. Seine Augen schimmerten ein wenig glasig.
„Ich habe dich auf der Vernissage gesehen, Michel!“
„Oui, Claudette. Das waren sehr ungewöhnliche Bilder. Ich muss schon sagen, du hast deine Talente gut in Szene gesetzt.“
Ich war mir nicht sicher, ob er das als Beleidigung oder als Kompliment meinte.
„Danke, mon amour! Ich wünschte, du hättest mir wenigstens kurz bonjour gesagt.“
„Nun, du hast dir ja genügend Verehrer mitgebracht.“
Leider wusste ich wegen meines Blackouts nicht, wen er meinen könnte, Bernard-Henri oder womöglich den Pferdeprügel-Hengst mit der Glatze. Also murmelte ich nur vage:
„Oh, Michel! Liebster!“
Anscheinend erreichte ich die gewünschte Wirkung.
„Ich würde dich gern zum Essen einladen. Da drüben vielleicht?“
Das lief ja besser als erhofft. Ich strahlte ihn an. Entschlossen nahm ich seine Hand, die er prompt in meiner streichelte. Das waren viel intensivere Lustgefühle, als sie mir jeder noch so dicke Schwanz verschaffen könnte.
Michel führte mich ins La Touraine. Man kannte ihn hier und begrüßte ihn sehr zuvorkommend. Glücklich sah ich ihn an.
„Du hast mir so gefehlt!“
„Ich weiß, mein Liebes. Du hast mir ebenso gefehlt.“
„Ist das wahr?“
Michel nickte. Dankbar streichelte ich seine Hand. Dann kam der Garcon mit einer Flasche Chablis und zwei Gläsern.
Ich entschied mich für den Avocadosalat mit Garnelen.
„Und du, Michel? Wie immer?“
Er nickte.
„Also dann, sante´, me dame!“
Der Kellner verschwand und wir stießen an.
„Michel! Ich würde dich so gerne küssen!“
Scheu sah er zu Boden.
„Ein wenig später vielleicht.“
Ich erzählte ihm, dass ich mich für eine Weile in Marrakesch vor den Papparrazzi versteckt hatte. Meine orientalischen Sex-Abenteuer ließ ich aus, auch Rasul erwähnte ich mit keiner Silbe. Ich war überrascht zu hören, dass er die maghrebinische Küche schätzte. Dann kam seine Foie Gras.
Wir plauderten angeregt und im Handumdrehen war die erste Flasche leer. Schwups, brachte die Bedienung eine neue. Meine Hoffnungen auf sexuelle Aktivitäten schrumpften. Naja.
Zum Abschied küsste er mich so sanft auf den Mund, wie nur er das konnte.
„Und? Sehe ich dich wieder?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht bist du besser dran mit Bernard.“
Dann entschwand seine traurige Gestalt in die Nacht. Ich weinte. Es war zwar nicht so gelaufen, wie ich es erhofft hatte, aber es war allemal besser, als von Roy dem Rohr gepfählt zu werden.
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