Einen solchen Schützen hatten die Beduinen noch niemals gesehen. Datteln aus einer Entfernung von fast dreihundert Metern vom galoppierenden Pferd aus von Speerspitzen herunter zu schießen, erschien ihnen beinahe übermenschlich, so dass sogar einige Stimmen laut wurden, die die Meinung vertraten, dass al’amriki, der Amerikaner mit einem Shaytan im Bunde sein musste. Doch Scheich Bahri, der Leo voller Bewunderung anstarrte, glaubte nicht an Dämonen und sorgte dafür, dass wieder Ruhe einkehrte und nur noch leise gemurrt wurde.
Insgesamt war Leo der drittschnellste Reiter. Aber als Schütze hatte er die anderen Teilnehmer so weit überragt, dass niemand ihm den Preis des Wettkampfes streitig machte.
„Das ist Samum“, erklärte der Scheich mit seinem Sohn als Dolmetscher. Und in der Erinnerung an die vergangene Nacht, erwiderte Leo versonnen: „Samum; der heiße Wind der Wüste!“
„Ihr erinnert Euch an meine Worte!“ stellte Tahar anerkennend fest. Leo nickte. Er erinnerte sich an die Worte, aber noch vielmehr an das, was er mit ihnen verband; die Nacht mit Arijana, deren Namen er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal gekannt hatte.
„Samum ist das schnellste Pferd unseres Stammes“, fuhr Tahar fort. „Werdet Ihr es mit in Euere Heimat nehmen?“
Leo dachte einen Moment lang nach, während er dem edlen Hengst über den Hals streichelte. Dann schüttelte er den Kopf und antwortete: „Die Überfahrt über den Atlantik wäre eine Qual für ihn.“
„Was werdet Ihr dann mit ihm anfangen?“
Leo blickte sich suchend um. Und als seine Augen fanden, wonach sie suchten, forderte er das Pferd mit einem stummen Blick auf, ihm zu folgen. Samum verstand ihn und trabte freudig wiehernd an seiner Seite, bis sie vor Arijana standen.
Eine lange Sekunde bohrten sich die Blicke von Leo und der jungen Braut ineinander. Dann senkten beide schnell wieder ihre Augen, um zu vermeiden, dass irgendjemand das lodernde Feuer darin entdeckte. Leo verbeugte sich ehrerbietig und sagte: „Meine Prinzessin, Ihr habt mir die Ehre erwiesen, Euch von mir Eurem Gemahl zuführen zu lassen. Dafür möchte ich mich bedanken. Nehmt als Hochzeitsgeschenk bitte dieses Pferd von mir an. Sein Name ist Samum.“
Arijana erhob sich von ihren Kissen, trat an Leo und das schöne Tier heran und erwiderte: „Ich danke Euch, 'asadun 'abyad. Ihr beschämt mich.“
Dann küsste sie Leo auf beide Wangen und flüsterte ihm dabei ins Ohr: „Ich werde an Dich denken, wenn ich auf ihm reite!“
Im nächsten Moment schwang sie sich auf den Rücken ihres kostbarsten Hochzeitsgeschenkes und preschte aus dem Dorf. Pferd und Reiterin schienen miteinander zu verschmelzen. Es war wunderbarer Anblick, den sie den staunenden Zusehern boten. Nur wenige Augenblicke später waren sie schon wieder zurück. Als Arijana jedoch vom Rücken Samums sprang und nach Leo Ausschau hielt, hatte dieser sich bereits von dem Fest verabschiedet und auf den Rückweg zur Küste gemacht, vor der die Petrel ankerte.
Die Nacht mit Arijana blieb Leo sein Leben lang in Erinnerung. Doch er sah sie nie wieder.
ENDE
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