Dr. Julian G. hatte es wie immer eilig. Die teure Limousine des Notars schoß über die enge Landstraße, dass die Steine nur so flogen. Das Punktekonto des Urkundenanwalts war schon reichlich strapaziert. Immer wieder versuchte sich der silberne Mercedes an den kleineren Vehikeln vorbei zu drängen. Dabei wußte er doch genau, an der nächsten Ampel würde er eh wieder mit ihnen in der Reihe stehen. Aber der attraktive Endvierziger konnte einfach nicht anders. Es wurde Zeit, dass die Schnellstraße endlich gebaut wurde. Genau darum drängte sein Termin auch so sehr. Die letzten Bauern hatten ihren Widerstand nun aufgegeben. Zu verlockend waren wohl die großzügigen Entschädigungen der Landesregierung. Wen interessierten schon ein paar fünfhundertjährige Eichen, und das einmalig schöne Waldgebiet in dem sie standen? Selbst wenn es sich hier angeblich um den berühmten „Märchenwald“ handelte. Eben in dieser Angelegenheit war der Notar gerade eilig unterwegs.
„Hmm, da gibt’s ja einen Schleichweg“, freute sich Dr. Julian G., setzte überraschend den Blinker, und zog kurz vor der nächsten Ampelschlange nach links. Komisch, auf dem Navigator war die Straße gar nicht angezeigt...Sonderbar, nichts los auf der Strecke. Dabei war sie wie neu, und großzügig ausgebaut. Und diese Landschaft. So stellte er sich den Garten Eden vor: Glitzernde Teiche und Seen flogen vorbei, lichte Birkenhaine wechselten sich mit tiefen Eichen und Buchenwäldern ab. Manchmal eine blumenbunte Lichtung. Schroffe Felsen schossen neben der Straße auf, schwankende Brücken führten über tiefe Schluchten mit bezaubernden Wasserfällen. Aber er begegnete keinem anderen Wagen. Nicht einmal ein Traktor bei der Waldarbeit. Und er fuhr doch jetzt schon zwanzig Minuten. War das wirklich so eine gute Idee mit dem plötzlichen Abbiegen? Der entgegenkommende LKW hätte ihn schließlich um ein Haar zermalmt...
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