Behaglich gähnend, streckte sie ihre langen Glieder über den Flammen. Bald verschwand ihre Gänsehaut, ...und auch der Gnom, der die ganze Zeit über in ihrer Tasche geschlafen hatte, kroch nun daraus hervor und machte es sich auf ihren hübschen Knien gemütlich.
„Na... mein kleiner Freund“, ...neckte Rotkerbchen. „Ausgeschlafen?“
„Dass du eine junge Frau in den siebten Himmel vögeln kannst, das hast du mir ja schon bewiesen. Aber wie wäre es jetzt mit einer kleinen Gutenachtgeschichte?“
„Ohne Abendbrot?“ ...beschwerte sich der kleine Faulpelz maulend.
„Schließlich sind wir doch den ganzen Abend ohne Pause gelaufen.“
„Du meinst wohl, ich bin gelaufen, während du dich gemütlich in meiner warmen Rocktasche gestreckt hast“, ...lachte das Mädchen schallend, ob soviel dreister Unverschämtheit. Doch wusste sie aus alten Geschichten, dass dreiste Unverschämtheit zum typischen Wesen der Gnome gehörte; genau wie ihre Wunderkraft. Man musste halt immer ein bisschen bitten und betteln, bevor sie ihr Füllhorn über einem ausschütteten. Das schmeichelte ihrer gigantischen Eitelkeit.
„Großer Eichling“, ...flehte sie also gekünstelt, während sie ihre Decken neben dem Feuer ausrollte. Und sie ließ ihr prächtiges Hinterteil dabei so verführerisch kreisen, dass des Gnom`s Widerstand schon bald gebrochen war.
„Bitte, bitte erzähl mir eine schöne Gutenachtgeschichte. Und wenn sie mir gefallen hat, dann darfst du auch noch mal von meinem süßen Honigtöpfchen kosten, und dir ein reiches Abendmahl genehmigen.“
Um diese Worte zu unterstreichen, griff sie mit zwei Fingern in ihr krauses Fell, und teilte es derart geschickt, dass die roten Lippen zu lächeln begannen.
„Also gut“, ...ließ sich der Gnom da breitschlagen.
„Dann mach es dir schon mal gemütlich. Ich bin gleich bereit.“
Behaglich rollte sich Rotkerbchen in die Decken. Schon saß der Winzling bequem auf ihrer Brust. Verträumt schloss sie die Augen, während er sich die bequemste Lage zwischen den sanften Hügeln suchte. Dann hub er mit einer (für seinen geringen Wuchs) erstaunlich dunklen Stimme an:
...„Wir lagern heute in einem fremden Heim, dessen Erbauer uns vollkommen unbekannt ist. Gewiss ist er schon lange fort, ...vielleicht sogar in der Fremde gestorben. Doch was würde er wohl dazu sagen, wenn er uns hier uneingeladen in seiner Hütte finden würde? Wahrscheinlich kehrt er ja nie wieder zurück...
...Doch es gab einmal eine schöne Maid, die schlich sich, genau wie du, vor vielen, vielen Jahren in die Wohnung fremder Leute. In diesem Fall kleinwüchsige Bergarbeiter. In zahmeren Geschichten hat man sie später Schneewittchen genannt.
Aber ich kenne die wilde Urfassung. Die Geschichte lief in Wahrheit etwas anders ab, als sie uns die grimmigen Märchenzensierer heute gern weiß machen wollen:
„Höre nun also die wahre Geschichte vom...“
Nun ja, der vorgebildete Leser mag es schon erahnen. Dennoch sollte er sich nicht zu sehr auf seinen Erfahrungsschatz verlassen.
Jedenfalls folgt die Fortsetzung gewiss...
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