Schmetterlingsbrosche

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Schmetterlingsbrosche

Schmetterlingsbrosche

Anita Isiris

Dann wartete er, tief atmend, ab. Die Frau beschäftigte sich konzentriert mit ihrem Haar, und Nino verliebte sich in ihre Achselhöhlen. Diese filigranen und doch kräftigen Hände… ihr warmer Blick in den Spiegel, während sie sich Haarspangen zwischen die Lippen schob… es gab im Universum nichts Schöneres und nichts Geheimnisvolleres als sich kämmende, sich unbeobachtet fühlende Frauen. Nino seufzte. Vermutlich hatte sie gerade eben geduscht. Sie schlang ein grosses Frottiertuch um sich und machte zwei Schritte aufs Fenster zu. Nino duckte sich, aber war ein paar Sekundenbruchteile zu spät. Er wurde von nach Nivea duftendem Wasserdampf umhüllt und nutzte die Überraschung der Frau zu einem Hechtsprung zur Seite. «Droga!», schrie sie, «Verdammter!». Egal, wie entspannt eine Frau wirkt: beim heimlich beobachtet werden versteht keine Spass. Dafür hatte Nino volles Verständnis – er schämte sich zu Tode. Mit hängendem Kopf stand er vor dem Fenster und wartete darauf, dass die Nordfrau das Quartier mobilisierte und dieses ihn der Polizei auslieferte. Welch tiefe Schande für seine Familie! Seinen zornroten Vater wagte er sich gar nicht erst auszumalen.

Nino blieb nur eines. Er griff in seine Hosentasche und förderte die Kette mit der Schmetterlingsbrosche zutage. Treuherzig überreichte er sie der in ein weisses Tuch gehüllten Frau, die wirkte, als trüge sie eine Toga.

Dann geschah etwas Unerwartetes. Die Frau atmete tief durch. Schüttelte ihr Haar. Und bog sich in einem Lachkrampf. Nino fühlte sich wie im neunten Kreis der Hölle. Er war der Nordfrau, die vermutlich kaum portugiesisch konnte, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie nahm die Kette an sich und sagte leise «me devolva», «gib sie mir zurück» zu ihm. Tausend Gedanken schossen durch Ninos Kopf. «Me devolva». Sie hatte «me devolva» zu ihm gesagt, mit einem Blick, der alles bedeuten konnte. Hatte er ihr Verlangen geweckt? Er wusste um sein gutes Aussehen, und vermutlich hatte die Abendsonne soeben seine schwarzen Locken zum Leuchten gebracht.

Mit Gesten bedeutete sie ihm, das kleine Mäuerchen zu erklimmen und zu ihr ins Badezimmer zu klettern. Nino war wieselflink. Das war das Elysium, der Moment, für den er 19 Jahre lang gelebt hatte. Als er auf den schwarzweiss geäderten Marmorboden glitt, sah er, wie sie an den Reglerknöpfen der Dusche hantierte. «Banho comigo», «dusch mit mir», forderte sie ihn auf und liess das Badetuch über ihre Schultern gleiten. Nino verschlang die Nordfrau erneut mit den Augen, dieses Mal aber ohne schlechtes Gewissen. Was sich hier abspielte, war derart natürlich, dass ihm das Herz vor sehnendem Verlangen schwer wurde. Sie betrat die Dusche, Nino knöpfte sein Hemd auf und entledigte sich seiner Hose. Nun stand er da, so, wie Gott ihn geschaffen hatte. Die Nordfrau liess sich ihre Erregung nicht anmerken und lächelte ihm einladend zu.

Wenig später wand sie sich in seinen Armen, gab sich seinen Küssen hin, während er versonnen an ihren Brüsten spielte, endlich in sie eindrang und sie mit kräftigen, langsamen Stössen nahm. Dann hob er die Nordfrau hoch, und sie umschlang ihn mit ihren Schenkeln.

Im Rhythmus der ewigen Meereswellen schaukelte das einander verfallene und doch so unterschiedliche Paar dem Regenbogen entgegen – einem Regenbogen, auf dessen oberstem Punkt ein Schmetterling sass, der seine Flügel ausbreitete und die Welt umarmte.

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