Seilhüpfen

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Seilhüpfen

Anita Isiris

Missmutig entstieg Clara dem Cabrio und liess den weissen Kies unter ihren Füssen knirschen. Am Steuer sass ihr Onkel. Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen entschwand sie in Richtung des kleinen Pavillons, in dem sie wohnte. "Ist aber auch am Ende der Welt, dieses Scheiss-Internat", murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen und war den Tränen nahe. Den Pavillon hatte übers Wochenende niemand gelüftet – der muffige Geruch besserte Claras Laune auch nicht gerade. Grad eben noch eine halbe Stunde hatte sie Zeit, ihr Haar zurecht zu machen und sich in die viel zu enge Schuluniform zu zwängen. Seufzend kramte sie in der Nachttischschublade nach ihren Haarspangen. Bunte "Haarbändiger" waren erst seit einem halben Jahr erlaubt – seit die neue Rektorin Einsitz genommen hatte in Uphill, dem wohl abgelegensten Mädcheninternat dieser Welt. Überhaupt hatten sich in letzter Zeit die Sitten etwas gelockert: Die drei obersten Knöpfe der viel zu knapp geschnittenen Blusen durften neuerdings offen bleiben, im Sommer waren nackte Füsse erlaubt und die hässlichen weissen Socken durften in den Schubladen, Kleiderschränken oder Wäschetrommeln vor sich hin miefen. Das berüchtigte und von vielen gefürchtete Arrestzimmer war neu gestrichen worden, in einem freundlichen Lachston. Die Pausen waren fünf Minuten länger und über die neue Köchin konnte auch niemand klagen. Trotzdem… Uphill blieb auch so eine Erziehungsanstalt, und Clara konnte hier niemals so leben wie zuhause in ihrer Doppelsuite in der elterlichen Villa, bei Tim, dem kleinen Welpen, dem uralten Park mit den schweren Platanen, die sie so liebte und ihrer depressiven Mutter, die ihre Tochter mit allem nur Denkbaren verwöhnte. Claras Pavillon war spartanisch eingerichtet, weil sie sich hier keinesfalls zuhause fühlen wollte.

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