Schon seit vier Stunden strich Keller durch den Supermarkt. In
seinem Einkaufswagen befanden sich zwei Frankfurter Würstchen von der Wursttheke und eine Packung Kondome. Er wußte, daß irgendetwas nicht stimmte, daß er wohlmöglich noch etwas vergessen hatte, aber er konnte sich nicht erinnern, was es war. Keller war ein hartnäckiger Bursche. Er blieb, schob eisern seinen Wagen durch die Regalgassen und versuchte sich zu erinnern. Kunden kamen und gingen. Die Pfütze klebrig-süßen Federweißers, die entstanden war als eine hektische Taz-Journalistin gegen die geblümte Stofftasche eines Ost-Rentners prallte, war längst aufgewischt. Und auch die Aufregung um den lispelnden Ladendieb hatte sich gelegt.
Keller bemerkte den seltsamen Blick der ferkelförmigen Wurstfachverkäuferin, immer wenn er um die Süßigkeitenecke bog. Er nahm sich eine Alternativroute vor. Für eine weitere Viertelstunde würde er sicher sein, unbehelligt nachdenken können, was ihm denn noch fehle. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Die zwei Würstchen und die Packung mit den Präservativen zogen seinen Blick an. Hatte er eine, nunja, fleischliche Verabredung, heute, am Abend? Dieses Wortspiel gefiel ihm. Er hörte sich kichern und blickte um sich. Eine weiße Kittelspitze verschwand hinter dem Mehlstapel. Seine Handflächen waren plötzlich schweißnaß geworden. Er wischte sie an seiner olivgrünen Breitcordhose ab. Vielleicht würde ihm alles wieder einfallen, wenn er noch eine Runde drehte. Seine Armbanduhr zeigte auf zwölf vor Acht. Der Ladenschluß näherte sich unaufhaltsam. Die Wursttheke war leer. Vor dem Zeitschriftenstand blieb er stehen. Ein Magazin mit einer großbrüstigen Brünetten als Titel bannte seinen Blick. Keller wußte nicht, wie lange er so gestanden und gestarrt hatte, doch irgendwann bemerkte er diesen Geruch. Es roch nach 4711 und Schweinefleisch. Er drehte sich um und hinter ihm stand die ferkelförmige Dame von der Wurst. Rötlich schimmernd wippten ihre Kunstlocken über dem prallen, schmutzig-weißen Kittel. "Hallo, ich heiße Margitta, kann ich Ihnen behilflich sein?", sprach ihr barocker Mund, einen Kopf über ihm. "Nein, ich. Also, haha, ich danke recht schön...", Keller wußte, es war Zeit zu gehen. Aber wohin? Vor ihm stand das riesige Wurstferkel und hinter ihm die Brünette auf Papier. "Sie sind vom Gesundheitsamt, stimmt´s?" Er spürte ihren gewaltigen, warmen Körper langsam auf sich zu kommen. "Gesundheits- ach, haha, woher denn, haha. Seh´ ich etwa aus wie einer vom- also, naja...!" Kellers Hände wurden feucht. "Ich, äh, ich suche lediglich etwas, haha!" Er bemerkte, daß sie unter ihrem Kittel nackt war. Er sah es an den Schatten von Brustwarzen und Schamhaar. "Ich glaube, ich muß jetzt, naja, Sie wissen schon, haha, nach Hause, haha, und Sie, ich meine dieses Geschäft, wird doch bald schließen ..." Ein flüchtiger Blick auf seine Uhr gelang ihm. Es war bereits halb Neun. "Hoppala, haha, jetzt halte ich Sie vom Feierabend ab, haha. Tut mir ehrlich leid, haha..." "Macht nichts, ich leite diesen Laden und habe schon abgeschlossen. Wir beiden sind die letzten hier." "Oh, achso, und ich dachte schon, haha..."
Senf
2 3-6 Minuten 0 Kommentare

Senf
Zugriffe gesamt: 2303
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.