Quasi als Träger des goldenen Bahnsteigknigge höre ich sie immer schon weitem: klickerdi-klackerdi-klack-klick-klack-klick-klicker-klack. Ein paar Schritte vor, die Fahrplanaushänge suchend. Leicht lächelnd den Blick in die Ferne schweifend, ein paar Schritte zurück: klick-klack-klicker-klack. Sie bleibt stehen. Die schwarz umrandete Brille wie das Klischee aus jedem Strumpfhosenfetischcartoon auf die Nase rutschen lassen. Über den Rand hinweg mustert sie.
„Eine Zigarette - eine Zigarette - eine Zigarette!“, denkt sie.
„Feuer - Feuer - Feuer!“, denkt sie: klick-klack-klick-klack. Auf Pumps vollzieht sie eine Halse, in Höhe der Waden überkreuz, Kostüm stramm gezurrt, elegant am Rock entlang gestrichen: klick-klick. Standposition kurzer Hand korrigiert. Schmollwinkel, die kleine Melancholie - kein Strichlippenabschluss.
„Der Mund - der Schlund - der Mund - der Schlund!“, denke ich. Dieses Ende des Bahnsteigs ist leer wie immer um diese Zeit. Am anderen Ende bereiten Jugendliche einen organisierten Faustkampf vor. Es wird ein Kreis gebildet. Die Sekundanten nehmen beiden Kämpfern Schultaschen und Jacken ab. Die Mädchen im Kreis feilen ihre Fingernägel oder rufen laut den Namen ihres Favoriten, dabei auf den Schultern von Knaben thronend:
Klick. Ein kurzer Blick von ihr zu der Szene im Hintergrund, welche beinahe verwischt. Sie wendet sich ab, desinteressiert, ablehnend, sensibel.
„Schnell - schnell - schnell - schnell - keine Zeit - keine Zeit - keine Zeit!“, denke ich. Ich schaue auf Hüften und Taille. Auf die Stelle, an der kurz die Hand eines guten Freundes ruht. Eine kleine Aufmerksamkeit sozusagen. Mann berührt Mann an der Schulter, Frau dort, nicht tiefer, nicht höher - ganz diskret aber eindeutig. So wie Ärzte ihre MTA’s berühren - mit der Bemerkung: „Darf ich mal durch? Danke!“ Je nach Art der Kombination aus Hüft - Taillenberührung und Betonung des: „Darf ich mal durch? Danke!“, besteht zwischen MTA und Arzt eine intime Beziehung oder nicht.
Der eine der beiden jugendlichen Gladiatoren ist ein geistig hoch trainierter Mathematiker mit Messerschnittfrisur und einem elektronischen Planer ausgestattet, welcher ihm mit Sicherheit helfen soll seinem Gegner strategisch den Garaus zu machen. Sein Gegenüber ist ein schmieriger Straßenbube aus dem Viertel der Currywurstexperten. Hochgepeppt hat dieser sich weniger mit Mathematik, alsdann mittels eines Boxstudios und im Angesicht der Anfeuerungsrufe seiner Fangemeinde: hopp - hopp - hopp!“ Während der eine mit seinen Beratern noch einmal seine Vorgehensweise bespricht, übt der andere auf der Stelle hüpfend Luftschläge. Die Stimmen der jungen Menschen werden lauter.
Sex auf dem Bahnsteig
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