Sie spielte Cello

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Sie spielte Cello

Sie spielte Cello

Paul Magallas

Ich hielt die Tage bis Freitag kaum aus. Was wollte das werden? Was geschah da mit, zwischen uns beiden? Natürlich wieder viel zu früh, schlich ich auf der Straße vor ihrem Haus herum. Dann klingelte ich zum ausgemachten Zeitpunkt und stieg nervös Stufe um Stufe in dem alten Stadthaus hoch. Sie wohne im obersten Stock - allein, wie sie anmerkte. Ich spürte von Etage,wie meine innere Nervosität stieg. Die Handflächen wurden feucht, der Puls beschleunigte sich.
Schließlich kam ich oben an - und da stand sie in der Tür: Locker und lässig, und gleichzeitig verlockend und geheimnisvoll. Im schwarzen Hosenanzug, mit nackten Armen und bloßen Schultern. "Hallo. Du kommst tatsächlich. Schön!" Beim letzten Wort strahlte sie übers ganze Gesicht. "Komm rein!" Sie führte mich in ihr Reich. Eine kleine, sehr geschmackvoll eingerichtete Wohnung. Ich hatte keine Augen für Einzelheiten, sondern folgte ihr, fasziniert und magnetisch angezogen in einen großen Raum. Durch große Fenster fiel Licht von oben und eröffnete ein unglaubliches Panorama auf die Stadt im Kessel. Ich sah einen Tisch und zwei Gläser, brennende Kerzen. An der Wand stand ein roter Cello-Kasten. "Soll ich dir ein Privat-Konzert geben?" Wie könnte ich dieser Einladung widerstehen?! Sie ging an den roten Kasten, holte ihr herrliches Instrument und setzte sich auf einen Stuhl, den sie offenbar schon vorbereitet hatte. "Setz dich dicht zu mir. Ach, was nein, setzt dich hier vor mich auf den Boden. Du magst es doch, Cellistinnen zwischen die Beine zu schauen". Als sie das sagte, lag in ihrer Stimme ein neuer Klang und in ihren Augen hatte sich etwas verändert. "Hast Du einen Wunsch?" "Nein, spiel einfach", stotterte ich. "Schließ die Augen", sagte sie. Ich tat es und folgte mit jeder Faser den Tönen, die sie ihrem Instrument hervorlockte. Da war soviel Sinnlichkeit im Raum, nicht nur bei langgestrichenen tiefen Tönen, die mir sogleich in den Leib gingen. Waren es anfangs noch Stücke, die ich kannte, wie "Den Schwan" aus dem "Karneval der Tiere", fing sie irgendwann an, frei zu spielen. Es wurde eine Improvisation, die sich steigerte: Aus Tiefen und ruhigerem Tempo wurde kraftvolle Musik. Zunehmend gewann eine rhythmische Kraft die Oberhand. Vor meinem inneren Auge sah ich sie wieder im Konzertsaal: Ärmellos mit diesen Schultern und nackten Armen, einem Gesicht, das voller Spielfreude, ja Vitalität und Lust war.

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