Silke zuliebe

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Silke zuliebe

Silke zuliebe

Anita Isiris

Silkes Notizen waren mittlerweile auf vierzig Seiten angeschwollen, vierzig Seiten in minutiöser Kleinschrift, vierzig Seiten, um einzelne Dorfcharaktere in Worte zu fassen. Ihre Liebesnacht mit Flurina behielt sie nicht für sich, rang aber um Worte, damit das Erlebte einen dezenten, auch in Akademikerkreisen akzeptablen Charakter bekam. Sie malte, um es in Farben auszudrücken, mit Pastelltönen, wobei ihr bei jedem Wort die nach Liebe lechzende Flurina in den Sinn kam. Sie konnte den Donnerstagabend kaum erwarten, wissend, dass sie beide nicht alle Zeit der Welt zur Verfügung hatten. Flurina würde sie um acht Uhr erwarten, möglicherweise in ihrem eigenen, nach Lavendel duftenden Seidenunterhemd.
Und es kam die Zeit. Silke reinigte sich auch dieses Mal akribisch im Innenhof, stellte aber auch fest, dass Alena, ihre geliebte Stute, unruhig wieherte. Vermutlich war ihr langweilig, und sie sehnte sich nach dem Ritt zurück in Silkes Heimatstadt. Wie Schuljungs drückten sich die sechs Männer, der Dorfpolizist, der Dorfarzt, der Kaschemmenwirt, der Hausherr, der Bäckermeister und Ursino, die Nase am Holzverschlag platt. Ursino hatte die Lücke im Holz tagsüber noch ein wenig erweitert, um den Männern freie Sicht auf Flurinas Schlafstatt zu ermöglichen. Die Männer wurden Zeugen, wie Flurina sich auszog und in Silkes Seidenhemd schlüpfte. Ihre Bewegungen waren dermaßen anmutig, dass sich in allen sechs Hosenställen etwas regte. Da war eine gemeinsame Verbindung unter Männern, die sonst nicht viel miteinander am Hut hatten. Der Kaschemmenwirt galt als gierig, der Dorfarzt stand unter Verdacht, den jeweiligen Ehefrauen „erweiterte Untersuchungen“ angedeihen zu lassen, Untersuchungen, die immer auch gut verborgene Körperteile mit einbezogen, der Bäckermeister galt als Lüstling schlechthin. Aber nun war da diese Verbindung, in Erwartung von Frauenliebe. So etwas kannte im Dorf niemand. Klar stand die eine oder andere Frau in Verdacht, ab und zu fremdzugehen, aber die Frau-Frau-Nähe, das war nun wirklich ein Novum. Ein lebens- und charakterveränderndes Novum, über das die kluge und interessierte Silke niemals würde schreiben können, denn sie würde demnächst Objekt und somit Teil des Spiels sein, nicht aber Beobachtende, Reflektierende, zu Papier bringende, Analysierende.

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schöne Geschichte

schreibt alak87@gmx.de

Hi! die geschichte ist schön geschrieben und sehr einfühlsam. Das Einzige, was ich schade finde ist, dass die Männer in dieser geschichte reichlich eindimensional wirken, wie ich finde. es mag nur mein Gedanke sein, aber ich hätte es schöner gefunden, wenn es auf irgend eine Weise auch ein wirklich gutes Ende für flurina und ihren Liebhaber gegeben hätte, und wenn dessen wirklich liebevolle, gute und nicht unangebrachte gefühle deutlicher geworden wären. Er war sich, wie ich die Geschichte Interpretiere, nicht bewusst, dass er die fünf Anderen besser nicht als Zuschauer dazugeholt hätte. wenn ich deine Geschichte richtig interpretiert habe, dann war Ursino ein wirklich einfach nur liebevoller Mann, der für seine Flurina wirkliche, echte Liebe empfunden hat und ich hätte es schön gefunden, wenn dies als gegengewicht zu den anderen Männern ein wenig hervorgehoben worden wäre, z.b. indem Flurina silke sagt, dass er sie und sie ihn wirklich liebt oder dergleichen. es ist ja durchaus nicht so, dass wirklich zärtlich nur frauen miteinander sein können. Trotzdem und teilweise wegen der Unterschiede ist die geschichte gut geschrieben und hat viel atmosphäre. Danke dafür.

Gedichte auf den Leib geschrieben