Silkes Notizen waren mittlerweile auf vierzig Seiten angeschwollen, vierzig Seiten in minutiöser Kleinschrift, vierzig Seiten, um einzelne Dorfcharaktere in Worte zu fassen. Ihre Liebesnacht mit Flurina behielt sie nicht für sich, rang aber um Worte, damit das Erlebte einen dezenten, auch in Akademikerkreisen akzeptablen Charakter bekam. Sie malte, um es in Farben auszudrücken, mit Pastelltönen, wobei ihr bei jedem Wort die nach Liebe lechzende Flurina in den Sinn kam. Sie konnte den Donnerstagabend kaum erwarten, wissend, dass sie beide nicht alle Zeit der Welt zur Verfügung hatten. Flurina würde sie um acht Uhr erwarten, möglicherweise in ihrem eigenen, nach Lavendel duftenden Seidenunterhemd.
Und es kam die Zeit. Silke reinigte sich auch dieses Mal akribisch im Innenhof, stellte aber auch fest, dass Alena, ihre geliebte Stute, unruhig wieherte. Vermutlich war ihr langweilig, und sie sehnte sich nach dem Ritt zurück in Silkes Heimatstadt. Wie Schuljungs drückten sich die sechs Männer, der Dorfpolizist, der Dorfarzt, der Kaschemmenwirt, der Hausherr, der Bäckermeister und Ursino, die Nase am Holzverschlag platt. Ursino hatte die Lücke im Holz tagsüber noch ein wenig erweitert, um den Männern freie Sicht auf Flurinas Schlafstatt zu ermöglichen. Die Männer wurden Zeugen, wie Flurina sich auszog und in Silkes Seidenhemd schlüpfte. Ihre Bewegungen waren dermaßen anmutig, dass sich in allen sechs Hosenställen etwas regte. Da war eine gemeinsame Verbindung unter Männern, die sonst nicht viel miteinander am Hut hatten. Der Kaschemmenwirt galt als gierig, der Dorfarzt stand unter Verdacht, den jeweiligen Ehefrauen „erweiterte Untersuchungen“ angedeihen zu lassen, Untersuchungen, die immer auch gut verborgene Körperteile mit einbezogen, der Bäckermeister galt als Lüstling schlechthin. Aber nun war da diese Verbindung, in Erwartung von Frauenliebe. So etwas kannte im Dorf niemand. Klar stand die eine oder andere Frau in Verdacht, ab und zu fremdzugehen, aber die Frau-Frau-Nähe, das war nun wirklich ein Novum. Ein lebens- und charakterveränderndes Novum, über das die kluge und interessierte Silke niemals würde schreiben können, denn sie würde demnächst Objekt und somit Teil des Spiels sein, nicht aber Beobachtende, Reflektierende, zu Papier bringende, Analysierende.
Silke zuliebe
33 19-30 Minuten 1 Kommentar

Silke zuliebe
Zugriffe gesamt: 8781
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.
schöne Geschichte
schreibt alak87@gmx.de