Dann erschien sie, Silke. Schon nur ihr gelocktes Haar war eine Naturgewalt, und dieses Mal ging dem Liebemachen zwischen den beiden weiblichen Wesen kein langer Dialog voraus. Silke hatte im Gasthof eine Flasche Wein erworben und zwei Kristallgläser mitgebracht. Beides entnahm sie einer Ledertasche. Dann, noch bevor sie sich auszog, küsste sie Flurina auf den Mund. Die Männer hielten den Atem an. Dann schob Silke Flurinas Unterhemd über deren Schultern und entblößte die Brüste der Freundin. Noch nicht alle Männer hatten Flurinas Brüste zu Gesicht bekommen. Der Kaschemmenwirt und der Dorfpolizist hoben zu einem einstimmigen, bewundernden „Aaah“ an und konnten von ihren Kollegen nur knapp zum Schweigen gebracht werden. Die beiden Frauen gingen weiter, weiter und weiter. Endlich lagen sie aufeinander, splitternackt, und wälzten sich hemmungslos auf den Kartoffelsäcken, die Flurina als Schlafstatt dienten. Jedes Mal, wenn ein Polöchlein zu sehen war, etwa dann, wenn Silke sich in den Vierfüßlerstand begab, röhrte der Bäckermeister, Analfetischist, der er war, leise vor sich hin. Er war im Elysium. Jedes Mal, wenn die beiden Frauen sich küssten, keuchte Ursino und erinnerte sich daran, wie Flurina an seiner Eichel genibbelt und sie mit der Zunge gereizt hatte. Wenn die Frauen gegenseitig an ihren Füßen zugange waren, räusperte sich Bastian, der Dorfarzt, seines Zeichens Fußfetischist. So trieben sechs gestandene Männer, mit Ausnahme von Ursino vielleicht, auf den Naturwellen des weiblichen Liebesspiels, und die Zeit, die die beiden liebenden Frauen miteinander verbrachten, war für alle von ihnen lebensverändernd. Sie erkannten, dass Frauen über eine eigene Seele, über einen eigenen Willen verfügen und sehr wohl in der Lage sind, sich auch gegenseitig Lust zu verschaffen.
Der Hausherr nahm sich vor, seiner Gattin niemals mehr blaue Flecken zuzufügen. Sogar dem verrohten Bäckermeister dämmerte es, dass seine Kundinnen, meistens Mägde, mehr mitbrachten als nur einen Anus, den es zu pfählen galt. Bastian, der Dorfarzt, ging noch in derselben Nacht in sich. Kam eine Frau mit einer Lungenentzündung zu ihm, musste sie fortan nur noch ihren Oberkörper entblößen, und schon der allein war doch hübsch genug. Den Schlüpfer durften die Patientinnen künftig anbehalten. Nur Ursino, der sich nichts zuschulden hatte kommen lassen, außer vielleicht, dass er das Liebesspiel von zwei Frauen fünf Dorfmännern preisgab, würde alles beim Alten belassen.
Jede Nacht, gegen zehn Uhr, würde er seine Flurina genießen und sie ihn, aber er würde sie spüren lassen, dass auch er von Silke etwas gelernt hatte, was den sensiblen Umgang mit einem Frauenkörper angeht.
Und Silke? Flurina? Die beiden schrieben sich fortan lange Briefe, und es wurde respektiert, dass Flurinas Briefe ungeöffnet den Weg in Silkes Kleinstadt nahmen. Silkes Erkenntnisse stellten die eines Sigmund Freud völlig in den Schatten. So sehr, dass ihre Arbeiten eine Zeitlang verboten wurden, während man dem Vater der Psychoanalytik trotz seiner gravierenden Irrtümer bis heute huldigt.
Flurina bildete sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten ebenfalls weiter, und auf all ihren Briefumschlägen stand, in zierlicher Frauenhandschrift, ein Satz:
„An Silke, die Mutter der Psychoanalyse.“
Silke zuliebe
33 19-30 Minuten 1 Kommentar

Silke zuliebe
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schöne Geschichte
schreibt alak87@gmx.de