Der Berg besaß die Form wahllos übereinander gestapelter Konservendosen und seine Farbe erinnerte Maximilian im vormittäglichen Licht dieses Sommertages an den speckig graublauen Wintermantel seines Großvaters und er staunte nicht schlecht, mit welcher Behendigkeit Charlotte die Nordtour an ihm empor kletterte. Für eine Anfängerin bemerkenswert. Er hatte mit Bedacht diesen Weg ausgewählt. Nichts Spektakuläres - trotzdem nicht ohne Risiko. Kein Touristenweg, aber doch bezwingbar. Sie lächelte und rief "Wann glaubst du, sind wir oben und genießen die Aussicht?"
"Mein Gott, wir haben gut über die Hälfte geschafft. Wenn du das Tempo beibehältst in zwei Stunden, aber der schwierige Teil kommt erst noch. Daher wir es doch länger dauern. Du wirst dich in Geduld üben müssen", antwortete Maximilian und suchte einen Halt für seinen Fuß. Sie lachte und kletterte weiter. Mit Sorge beobachtete er, daß Charlotte sich mehrere Meter über ihm befand.
"Es kommt nicht darauf an, daß du schnell ein paar Meter schaffst, sondern, daß der Weg dich auch bis an die Spitze führt", ermahnte er sie.
"Ja, ja", schallte es zurück. Maximilian schüttelte den Kopf und erinnerte sich, wie er Charlotte vor zwei Monaten kennengelernt hatte. Beschäftig mit der Auswahl seiner neuen Ausrüstung hatte ihn ein Mädchen angesprochen - Schwarze Haare, braune Augen. Eine doppelbödig-vibrierende Stimme, Charlotte eben. Ach, ja. Da war auch noch Henry, dieser bedauernswerte Junge, den sie in einem Rollstuhl vor sich her schob. Querschnittsgelähmt, die Zunge war am Gaumen fest genäht, die Kiefer verdrahtet und seinen Kopf zierte eine Stahlplatte.
"Es war ein Autounfall", hatte Charlotte erklärt. "Sie müssen wissen, er ist ... er war Ralley- Fahrer. Ich habe ihn begleitet. Ihm die Strecke angesagt, die Kurven und so weiter. Ein rasanter, ein schneller Sport.
Steilwandliebe
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